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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
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Paris .

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derungm, wie auch schon aus der Romanlitteratur, daß dieSittenlofigkeit der vornehmen Welt unter der dritten Republiknoch viel größer ist, als sie unter Napoleon III. war, den die Catonedamals für den Luxus und die Verderbtheit verantwortlich machten.Und wenn er, der Kaiser, auch seine notorischen Maitressen hatte,deren eine, Marguerite Bellangs genannt, es zu einem Skandalin den Tuilerien selbst brachte (bekanntlich spielten bezeichnenderWeise hochgestellte Würdenträger, ein Geistlicher und ein Gerichts-präsident bei der Wiederherstellung des hänslichen Friedens mit),so wußte die Lkioin^ns 8Lg.näaIsuss doch der Kaiserin Engenienie etwas Böses nachzusagen. Dagegen lebte auch die Kousinedes Kaisers, Prinzessin Mathilde, Tochter des Königs von West-falen und faktisch getrennte Frau des Fürsten Demidosf, in einemoffiziellen Verhältnis zum Direktor der schönen Künste uud schönenManne, Baron von Nienwerkerke, Md versammelte in ihrem Pariser Hotel, wie auf ihrem Landhause von St. Germain die beste, aller-dings nur männliche litterarische Gesellschaft. Übrigens brauchtedie Repräsentantin der freien Sitte nicht einmal so hoch zu stehen,um die Blüte der Litteratnr zu ihren Füßen zu sehen. Saint-Beuveuud Msrimse waren, wie ich schon anführte, Stammgäste bei mehrals einer Hetäre von gutem Geschmack.

Die Verbindung des schöngeistigen und des geschlechtlichfreien Lebens in seinen verschiedenen Abstufungen, von der mehroder minder galanten Weltdame bis hinab zur ksivras sutrstönusoder zur Kokotte großen Stils, war unter dem zweiten Kaiserreichan der Tagesordnung - Ich könnte ganze Reihen von Namennennen, aber ich schreibe keine OIu-orÜHus Zvancl^Isuss und charak-terisiere nur die Zustände in allgemeinen Umrissen. Allein, soweitmeine mittelbaren Beobachtungen der späteren Zeit, der drittenRepublik, mich über diese orientiert haben, ist seit 1870 das in-tellektuelle Element in diesen Regionen zurückgegangen, und dieSittenlosigkeit hat einen viel wilderen nnd gemeineren Charakterangenommen. Zu meiner Zeit hörte man nur von lesbischerLiebe reden, wie es wohl zu allen Zeiten geschah, als sonderbarerund seltener, im Stillen vorkommender Verirrnng, dagegen istseit zehn Jahren diese Abnormität als eine Erscheinung geradein der vornehmen Damenwelt ein Gegenstand des Tagesgespräches