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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
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Paris .

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aus. Oppenheim , der beide von der Didier her kannte, machteeinmal die respektlose, aber witzige Bemerkung, Littrs sehe auswie ein Schuhmacher, der seinen Fonds de Boutique an HenriMartin verkauft hätte. Von Littrs's litterarischer Größe zusprechen, wäre überflüssig, und seine Leistungen auch nur in denschwächsten Umrissen zn zeichnen, würde zu weit führen. SeinDictionnaire der französischen Sprache hat ihn am meisten welt-berühmt gemacht, aber selbst wer dieses unschätzbare und nütz-liche Werk ziemlich gut kennt, macht sich noch keine Vorstellungvon der Universalität dieses Geistes.

Er war von Hause aus Mediziner, aber dabei zugleich einSprachgelehrter, der vom Sanskrit bis zu den modernsten Idiomenalle Gebiete bearbeitete; endlich recht eigentlich vom Fach ansPhilosoph, bekanntlich der Dolmetscher nnd wahre Verbreiter derPhilosophie des Auguste Comte. Sein Verhältnis zn Deutschland charakterisiert sich dadurch, daß er das Leben Jesn von Strauß insFranzösische übersetzt hat. Zu den anziehendsten seiner zahllosenPublikationen gehört die Erzählung der Schicksale seinesDictionnaire-Mannskripts während der Belagerung uud der Entstehung diesesWerkes überhaupt, unter dem Titel: Lommknt kait mon vi»tionr>g,ii'ö. Seine durchaus demokratische Gesinnung war frei vonjedem demonstrativen Wesen. Sie prägte sich in seinem ganzenAuftreten in feiner Lebensweise aus. Er wohnte mit Frau undTochter ohne Magd in einem äußerst wohlfeilen Appartement amEnde von Paris . Den Orden der Ehrenlegion lehnte er beharr-lich ab. Obwohl er nicht als Arzt praktizierte, so machte er eineAusnahme für die armen Leute seiner Nachbarschaft. In denJulitagen des Jahres 1830 hatte er auf den Barrikaden gekämpft(er war 1801 geboren). In den letzten Jahren seines Lebenswar er Mitglied des Senats. Ich habe nie einen Mann ge-kannt, der in so natürlicher, ungekünstelter, vollendeter Weise dasBild eines großen Gelehrten, tiefen Denkers, freisinnigen Politikersnnd edlen Menschenfreundes darbot. Die Milde nnd Anspruchs-losigkeit, mit der er sich in der Gesellschaft bewegte, war wahrhaftrührend. Bei allem, was ich von ihm lese, schwebt mir zur Er-höhung des Genusses die lebendige Persönlichkeit des Autors ver-schönernd vor Angen.