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Politik, ernstes und frivoles Leben, das Faubourg St. Germain,die republikanische Opposition und selbst ein Stück des Napoleo-nischen Hofs, alles in den engen Raum eines kleinen Salonszusammengedrängt, in dem Menschheit aller Arten aus- undeinging, ihre offnen und ihre stillen Geheimnisfe zum besten gab— und was die Hauptsache war, — iu dem Observatorium einerBeobachterin, der das Studium der Menschen ein Lebensberus undeine Quelle unerschöpflichen Genusses war. Zur Betrachtung derGegenwart gesellte sich in ununterbrochenem Fluß die Erinnerungau die auf dreißig Jahre zurückreichende Vergangenheit, der einaußerordentlich lebhafter Sinn für die kleinen Eigentümlichkeitenüber die Maßen zu Hilfe kam. Und das alles auf dem Grundeeiner behaglichen Häuslichkeit, in die man immer wie in ein kleineswarmes Nest einkehrte, aus dem freundschaftlich warmes Empfiudeu,angeregter Geist und dankbare Empfänglichkeit für alles, wasman brachte, einem beim Eintritt über die Schwelle wohlthuendentgegenwehte.
Alle Dimensionen waren klein uud traulich, äußerst bescheiden,aber mit jener wahren Vornehmheit, die aus einstigen großenVerhältnissen noch den guten Geschmack uud die natürlicheHaltung mit herübergenommen hatte. Der stets mit besonderemGeschick in sanfter Glut gehaltene Kamiu in der rus kloutaiZllöim Winter, das freundliche, umrankte Gartenzimmer des Land-hauses der Villa Coeurvolant, zwischen Lonveeiennes und Marly,im Sommer, selbst die alte treue Magd Marie, mit der man alsFreuud des Hauses auf patriarchalischem Fuß stand — das alleswirkte zusammen, um einen in diesem von drei weiblichen Gene-rationen ausgefüllten Hause ganz heimisch zu machen, das Gefühlabsoluter Sicherheit, des gegenseitigen Wohlwollens und Ver-ständnisses zu geben, aus dem man ruht wie auf warmem, weichemPfühle.
Die letzten zehn Pariser Jahre dieses freundschaftlichen Ver-kehrs haben meinem dortigen Aufenthalt am meisten ihr Geprägeaufgedrückt, ihren Reiz gegeben, mir das Hineinleben in die sonstnie der Fremdheit entbehrende Atmosphäre gestattet, meine Kenntnisder Menschen und Zustände bereichert. Auch nach dem Kriege,ja während desselben, dauerte dies Verhältnis unbehindert fort.