Beziehungen zu Deutschland und erste Reisen ins Vaterland. 517
Aber dabei muß man beherzigen einerseits, daß Kapp Zeugeund Opfer der uach 1848 eingetretenen Reaktion war, und anderer-seits, daß gerade in der ersten Hälfte der sechziger Jahre dieKoalition der Hannoveraner, Sachsen, Bayern, Hessen und ihresAnhangs von „Raubstaaten", wie er sie von jeher zu nennen Pflegte,in schnödem Übermut dem wieder auflebenden Einignngsdrangder deutschen Liberalen entgegentrat. Diesen Übermut zu brechengalt damals als die erste Aufgabe, und mit dem Gelingen dieserAufgabe hielt man die Znkunft Deutschlands für gesichert. Zueinem gnten Teil war das auch richtig, das Eintreten für dieEinigung Deutschlands unter Preußen voll berechtigt, und auchheute kann nicht gewünscht werden, das auf diese Weise Gescheheneuugescheheu zu macheu. Aber eines ist doch anders geworden, alsdie meisten sichs dachten. Es ward leichter, mit den deutschen Fürsten fertig zu werden, als mit den preußischen Junkern. Zwardie Antipathie, die letztere namentlich dem Süden und WestenDeutschlands einflößten, war alten Datums uud auch in denJahren von 1866 bis 1870 noch stark mitbestimmend für viele inihrer Abneigung gegen die preußische Spitze im-Reich. Alleines ahnte wohl keiner dieser Opponenten, daß es dem ostelbischenJunkertum im Laufe zweier Jahrzehnte gelingen werde, eineHerrschaft über Deutschland zu erlangen, wie ähnlich nichts derartje vorher gesehen worden war. Freilich — an Erklärungenfehlt es ja nie — vieles mußte zusammenkommen, nm einen sokrassen Umschlag möglich zu machen; vor allem die Thatsachen,daß der Grundgedanke des bürgerlichen Liberalismus, die deutsche Einigung, durch einen genialen Junker durchgeführt ward, sodanndie Bildung einer mächtigen Zentrnmspartei.
Wie die Dinge heute stehen, muß man als Glosse zu KappsAuffassung hinzusetzen: die deutschen Fürsten haben sich viel leichtermodernisiert und humanisiert als die preußischen Junker. Manmuß jenen das Zeugnis geben, daß sie sich nicht nur der Ideedes Reichs adaptiert haben, sondern auch einer Ausbildung liberalerInstitutionen im Reich nie Widerstand entgegengesetzt haben. Diegroße Mehrzahl der fürstlichen Bundesgenossen steht mit ihren An-schauungsweisen und Ansprüchen im modernen Leben, und ein Appellan die Unthaten ihrer Vorfahren wäre hente ein Anachronismus.