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Achtes Kapitel.
den besten Häusern. Aber wenn wir schon statt Fnstanellen, Wasser-stiefeln und Faugschnüren Vatermörder nnd Schlafröcke tragen, so hates doch noch einen anderen und ernsteren Grund, daß sich kein Menschin der weiten Welt für uns interessiert. Zunächst kommt es daher, daßwir selbst uns nicht genug für uns interessieren. Da vor allem fitzt derKnoten. Ich weiß, eS ist jetzt so Ton, wir Deutsche sollen nns selbst nichtsSchlimmes nachsagen. Das ist die natürliche Reaktion gegen die Periodedes verzweifelten Humors. Aber es mögen andere Leute ihre Weisheitdazu verbrauchen, herzuleiten, wie jede Reaktion ihre Berechtigung hat.Ich fühle keinerlei Beruf, etwas über das Recht der Reaktionen zuschreiben, sie könnens auch leider entbehren. Sintemal nach dem be-wußten Ausrufe denn wirklich alles muß „annerfch" werden, so dächteich, wir hätten ja doch immer noch zuerst an uns selbst anzufangen, undwenn wir uns einander was von unserem Reiche, unserer Kraft uudunserer Herrschaft vorschwatzen wollen, so frage ich mit einem anderenbekannten Ausdruck: Hui tromps-t-on iei? So oft in ernsten Dingender Takt angernfen wird, möge man mißtrauisch sein. Die Takt-schwärmer meinens mir so so mit der Sache. Der Takt ist ein Geschöpfder guten Gesellschaft, nud die hat zur Hauptaufgabe, sich angenehm zubelügen.
Nein, es fehlt bei n»S am lebendigen, unauslöschlichen Rechts- undGemeingefühl! Wir kommen wohl in Leipzig turnend zusammen, umunter des wohlgeneigten Ministern Schutz zn unserem Staunen zu kon-statieren, daß wir in Nord nnd Süd nicht so unausstehlich siud, wie esdie deutsche Buudesatte voraussetzt; Tyroler und Mecklenburger bekenneneinander unter Thränen, daß sie ganz liebe Menschen seien, nnd der Tagdieser schmeichelhaften Entdeckung bleibt allen Anwesenden einer von denvielen ewig unvergeßlichen. Aber wenn ein wackerer Mann für die guteSache aller ins Gefängnis wandert, da ist er mit nichten unvergeßlich.O, warum sind doch die Lxswpls, so grausam oäioss, daß ich die aller-nächstliegenden nicht nennen darf! Um keine akkomodierende Auswahlzu treffen, will ich sie lieber alle verschweigen nnd mich mit dem Einenbegnügen, der zn der ganzen Betrachtung Anlaß giebt. Da ist einMann, so entfernt, wie es nur jemand sein kann, von der Versuchung,in einer politischen Umwälzung persönliche Vorteile zu suchen. SeinHandwerk ist daS uu-, ich will nicht sagen: das antipolitischste von derWelt, sein Brot reicht ihm die landesväterliche Hnld unmittelbar anserster Hand. Er ist seit fünf Jahren königlicher Musikdirektor am Hof-theater zu Dresden . Im Jahre achtnndvierzig wird er dennoch einRebell. Ein Rebell ist immer ein Verbrecher, das ist ausgemacht, uuddavon soll hier gar nicht die Rede sein. Aber wenn ein solcher Mensch,ein königlicher Diener an einer Hofanstalt, ein Schützling des Herrn nndein Zögling der friedlichsten Mnse, dazu uotorischermaßeu ein Mann der