Die Mittelstaaten. Nheinbundpolitik.
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sprüchen auf große Teile des Landes hatte hegen müssen, und auchdiese Ansprüche und Wünsche waren nicht ganz aufgegeben. Svhatten deun die Mittelstaaten im Laufe dieses Jahrzehnts von denstolzen Ansprüchen, in denen sie sich 1850 gefielen, viel fallenlassen müssen; nnd wenn sie wie der sächsische Minister Beust undder König von Hannover diese Ansprüche festhielten, so schwächtensie sich damit nnr noch mehr, indem sie sich verblendeten.
In diesen durchaus ungesunden Verhältnissen verzehrte sichdas Schamgefühl, das ihnen eine Erneuerung der Gedanken undder Politik der Rheinbnndzeit verbot. Ein deutsches Vaterland gabes nicht, am wenigsteil in den Augen der Fürsten , denn sie wußtenam besten, daß der Bund nicht als ein Vaterland bezeichnet werdenkonnte, daß der leitende Staat Österreich die übrigen Staaten alsAusland und ihre Interessen wie Interessen des Auslandes be-handelte. Sollte man es den schwachen, noch dazu den dem mäch-tigeil Nachbarn jenseits des Rheines zunächst preisgegebenen Staateilverdenken, wenn sie ähnlich dachten? Man wird die rheinbündle-rischen Gesinnungen und Äußerungen der Dalwigk nnd Borriesdamit nicht entschuldigen, aber man wird sie verstehen, und manwird ferner sagen, daß nicht wenige andere ähnlich dachten uudmit ähnlich Denkenden gute Beziehungen unterhielten. Fürchtetendoch die rheinischen Städte noch 1866, daß sie als Preis einerfranzösischen Unterstützung an Frankreich ausgeliefert werdenkönnten!
Mit aller Schärfe hat der preußische Bundestagsgesandte dieseVerhältnisse geschildert, namentlich in einer Denkschrift vom 18. Mai1857. Nachdem er gezeigt hat, daß der deutsche Bund von 1815bis 1848 einen Rückhalt an der Heiligen Allianz Rußlands, Öster-reichs und Preußens hatte und den deutschen Fürsten das Ge-fühl der Sicherheit gegen Frankreich gab, zugleich aber jedes rhein -bündlerische Gelüst verbot, fügt er hinzu, nach dem Bruche Ruß-lands mit Österreich hätten die Fürsten nicht mehr das Zutrauen,
daß ihre Stellung in und nach den Wechselfällen des Krieges von Österreich und Preußen besser respektiert werden würde, als von Frankreich . DieHerren selbst haben das Gefühl, daß die Kleinstaaterei mit ihrer heutigenhochgeschraubten Souveränität für Deutschland ein Übel, dem französischenInteresse aber nicht nachteilig ist; sie wissen sehr gut, daß die zerrissene Lage