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Regentschaft und Anfänge König Wilhelms I.
er auch seinem Könige unrecht, der sich ans sachlichen Gründen fürdiese Politik entschieden hatte. Freilich wollte Roon jetzt nicht mehrzurückweichen. Dazu war er zu viel Soldat, aber an seiner reak-tionären Auffassung der deutschen Politik läßt das Wort keinenZweifel. Nicht viel anders beurteilten selbst die der Regierungnäher stehenden Politiker Bernhardi und Duncker den Minister,und namentlich waren sie auch überzeugt, daß Roon absichtlich zumKonflikt dränge und daß er sich freuen werde, wenn sich Gelegen-heit finde, Gewalt zu gebrauchen. Roon hatte aber in dem Mini-sterium eine besonders hervorragende Bedeutung: Ministerpräsidentwar allerdings Fürst Hohenlohe, die Leitung hatte jedoch vorzugs-weise Roon; selbst der Finanzminister von der Heydt trat nebenihm zurück.
Wer heute in Rnhe den ganzen Mann betrachtet, dabei seinspäteres Wirken wie seine vertrauten Briefe zur Beurteilung derRedeu uud Ratschläge aus dieser Zeit hinzunimmt, der wird gernezugeben, daß von seiten der Liberalen vieles geschah, was seineHaltung erklärt, aber das ändert nichts an der Thatsache, daßseine Haltung den Konflikt steigerte. Auch trägt er ohne Zweifeleinen großen Teil der Verantwortung für die maßlosen Angriffeder offiziellen Sternzeitung auf die Liberalen und damit indirektall der Zeitungen und Vereine, die die Gunst der Negierung suchtenoder sie in der eingeschlagenen Richtung zu bestärken wünschten. Dieganze Mente der Reaktion wachte wieder auf und eilte, sich Genügezu thun. Auch von Roon selbst fiel manches unglückliche Wort.So wirkte seine schroffe, jeden Versuch eines Verständnisses ab-lehnende Beurteilung des Frankfurter Schützenfestes (Juli 1862)nach verschiedenen Richtungen hin ungünstig. Sie hemmte dienationalen Parteien in den übrigen Staaten, die in Preußen Stützeund Ziel suchten, und sie verbitterte so einflußreiche, von treuenBürgern hochverehrte und dankbar bewunderte Männer wie Schulze-Delitzsch und ihren Anhang.
Schulze-Delitzsch ist von der heutigen Generation fast vergessen,die Schlagworte der Socialdemokratie haben ihm die Massen ent-fremdet, und die Kritik der Thatsachen hat gelehrt, daß man seineRatschläge überschätzt hat; aber damals sahen die Handwerker