Thorwaldscn und die Nachwelt.
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das Göttliche in der Kunst, als das gesteigert Menschliche. Wirfordern daher von der Knnst überhaupt nicht mehr eine reineVollendung, sondern eine aus den Bedingungen sich ergebende er-höhte Eigenart. Wir können die Schwächen eines Werkes erkennen,ohne es darum für schwach halten zu müssen. Denn wir bescheidennns, glauben nicht einmal mehr an die Untrüglichkeit unseres eigenenUrteils, das ja auch nur ein Ergebnis ans Zeit, Schulung undeigener Begabung ist.
Und so ist's denn auch nicht möglich, über Thorwaldsen einUrteil zu geben, welches den Anspruch auf allgemeine Gültigkeit er-heben kann. Ich eriunere mich der drolligen Verzweiflung, in der icheines Tages einen bekannten Berliner Romanschreiber traf, der eben«us Kopenhagen zurückkam. Er war mit hoher Spannung in dasThorwaldsen-Museum gegangen, den Bau, der das Grab des Meistersnmsaßt und mit diesem einen Überblick über sein Lebenswerk. Wiefeierlich! Wie tönen jedem Gebildeten Worte höchsten Beifalls überein kleines Volk im Ohr, das so seine Toten zu ehren weiß. DerBerliner hatte aber ein langweiliges, schlecht gehaltenes Ganze ge-funden und darin Bildwerke, die ihm geradezu entgegengähnten.Immer wieder derselbe Kopf, derselbe tote, gleichgültige Ausdruck,dieselbe Rundung der Glieder, dieselben Maßverhältnisfe, an denzahllosen Flachbildern verwandte Verteilung der Gestalten auf dieFläche, derselbe Aufbau, der so glatt und sicher gegeben, dasSchema nur zn deutlich offenbarte, dieselben nnbedentenden Hand-lungen, ruhigen Beweguugen. Eine ungeheure Menge von Ge-stalten, doch ein Geschlecht naher Verwandter, die man kaum von-einander zu unterscheiden vermag, alle ohne eigentlichen Willen,ohne Leidenschaft, ohne Blut. Mit Angst sucht man nach demSalz von ein wenig Sünde in diesem Meer stilistischer Tugend-haftigkeit. Und wo man einen Anklang findet einer wirklichenMenschlichkeit gegenüber den Erzeugnissen einer mit mathematischerSicherheit arbeitenden Maschine für stilvollen Hellenismus, da ist'sein Rest Rokoko , ein Rest Canova, ein weicherer Schwung, eineflüssigere Linie. So in den Rundbildern Nacht und Morgen.
Auch den Dünen ist ihr berühmtester Landsmann schon längst
langweilig geworden. Und wenn ich mich auf Herz und Nieren
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