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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Die Süddeutschen. Znchsen, Hannvver.

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liche Wiederbelelulng des Palladianismus dar, der an die englischeAuffassung inahnt. Etwas Ähnliches vollzog sich durch Aussvw inDassel und auch sonst noch hier und da. Ehe die Baukunst jener^eit zum inneren Abschluß kam, brach das Elend der napoleonischenKriege herein, ihre Keime vollends vernichtend. Mehr als alleanderen Künstler waren die Architekten auf das Gebiet der Träumeverwiesen, wollten sie sich schöpferisch bethätigen.

Wie in Kassel, so haben in Hannover englische Einflüsse denfranzösischen die Wage gehalten. Die Höfe dankten ja lange Zeitdem Soldatenhandel mit England ihren Wohlstand; die etwa140 Millionen, welche für Landeskinder über den Kanal herüber-slossen, haben auch auf den Geschmack einen merklichen Einflußgehabt. Freilich ist die Zeit der englischen Regierung in Hannover ,die nach 123jähriger Tauer 1837 endete, für die Stadt nicht ebensegensreich gewesen. Seit der Wiener Kongreß das Kronland zumKönigreich erhoben hatte, seit der Herzog von Cambridge als Vice-könig hier waltete, hat sie an dem allgemeinen langsamen Fortschrittmit teilgenommen. Laues war es, de.r dort große Straßen uudPlätze schuf, mit kühner Hand, mit weitem Blick dem kleinen Resi-denzstädtchen von etwa 15000 Einwohnern die Möglichkeit bot,sich zu dehueu uud zu entwickeln. Sein Waterloodenkmal ist einejener Ehreusäulen, die in England damals aller Orten entstanden,sein Schloßbau kaum minder durch die Heimat des neuen KönigsErnst August iu den Formen bedingt. Erst im Theater kommen diedeutsch -klassischen Gestaltungen bei ihm mehr znm Durchbruch.

Im allgemeinen aber drückte der klassische Idealismus auf allemfreieren Schaffen: Die Säule, die Ordnnng waren die strengenHerren, gegen die kein Widerspruch denkbar war. Alle Aufgabenmußten sich ihren Forderungen unterwerfen. Der in Rom lebendeMaler Koch klagt einmal sehr lustig über diese Verallgemeinerungder Form: Wie sich die Schneider kleiden wie die Fürsten nnddie Fürsten wie die Schneider, so sind Tempel uud Kirchen, Kaffee-häuser nnd Wachstuben alle in gleichem Schnitt, Form und Be-deutung, oder vielmehr Nichtbedeutung. Man kann nicht unter-scheiden, ob ein Tempel dem Jupiter oder dem heiligen Rochusgeheiligt ist, ob der Sessel, auf dem der Kuustphilosoph thront.