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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Klenze. Tie Residenz zu München .

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außer in der Raumbildung, in Behandlung der Massen. Hierinist er zweifellos sicherer, steht er sester aus der zu Fleisch und Blutgewordenen Überlieferung. Trotz der in der Kunstgeschichte zugunsten Berlins durchgeführten Fälschung stehen eben die Münchener Meister, welche noch in Weinbrenners Richtung schusen, höher alsdie gleichzeitigen Berliner . Das Nationalthcater bildet einen sehrachtenswerten Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, die Ein-richtung der Reichen Zimmer in der Residenz zeigt noch eineHöhe des technischen Könnens und einen Geschmack, von dessenVorhandensein Klenze sür seine Zwecke Nutzen hätte ziehenkönnen. Aber welcher Unterschied zwischen diesen Zimmern,zu jenen in Klenzes Festsaalbau! Dem Äußern dieser riesigenAnlage wars Franz Reber noch 1876 Palladianismus vor:Das heißt, er merkte, daß hier die Verbindung mit der Ver-gangenheit stärker erhalten war als bei Schinkel. Das Innereist aber von einer so gewaltigen Langweiligkeit, wie sie nurdas gelehrte 19. Jahrhundert zu zeitigen vermochte. Ich denkenoch mit Schrecken an den Tag, an welchem ich mit einer Herdeanderer Neugieriger durch diese Säle getrieben wurde. Der Führernannte viel berühmte und unberühmte Namen von Künstlern, diehier gearbeitet haben. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daßich nicht eines ihrer gewiß sehr vielsagenden Bilder mir ansah.Geblendet verweilt der Geist an den riesigen leeren Wänden, anden sperrigen Dekorationen, an den erschrecklich häßlichen Farben,an den protzigen Vergoldungen, nur mit der Frage beschäftigt,ob es wirklich möglich sei, daß man vor zwei Menschenleben dieseArmseligkeiten sür einen Fortschritt gehalten gegenüber der aus-jubelnden Pracht des Zopfes, des verachteten Perücken- undHaarbeutelstiles. Wer die Schwankungen des Schönheitsgefühlesund die Wertlosigkeit zeitgenössischen Urteils studieren will, der gehein die Residenz zu München !

Die Antike hat in Bayern nicht Wurzel zu schlagen vermochtwie in Berlin . Sie fand dort keinen Boden. Der gebildeteBerliner war thöricht genug, fich für einen Spree-Athener zuhalten; der ungebildete Altbayer war zu vernünftig, um nicht über einIsar-Athen zu lächeln. Nur der König in seiner Sehnsucht nach