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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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II. Die Klassiker.

eine nichtssagende akademisch verdrehte Stellung, einen Satyrkopfmit Lockenhaar und einem Bart, der an das Zerrbild grenzt, dasKostüm eines römischen Bäckergesellen. Wie sollen wir Nach-geborenen Klenzes Ziele verstehen können, wenn wir sein Urteilso ganz und gar für verkehrt halten!

Wir würden uns auch verwundert genug ansehen, wenn esmöglich wäre in einen Kreis von Berliner Architekten aus der SchuleSchinkcls einzutreten. Welch andere Bestrebungen, welch andereSprache als heute! Es gab in Berlin viele lebhaft anstrebende unhbedeutende Banmeister, welche die Lehre in künstlerisches Leben um-setzten und nnn ihrerseits den an sich toten Stoff dnrch aus derNatur entlehnte, gleichsam angeheftete Vergleichsbilder, Sinnbilder zubeleben bemüht waren; die sich darüber im klaren waren, daß jedesGlied einen Sinn haben müsse, uud daß dieser Sinn nur dannverständlich sei, wenn er auf bekannten strnktiven Begriffen sichaufbaue. Die jüngeren Architekten Berlins , begeisterte SchülerSchinkels, selbst wenn dessen Art auch erst aus zweiter Hand ihnenzufloß, bildeten das Geschlecht, welches diese Vergleichsbilderwirklich verstand. Was konnten sie dafür, daß das Volk, daß selbstdie Gebildeten aller anderen Städte und Länder nicht auf gleicherHöhe der Erkeuntuis standen! Sie redeten eine offene Sprache, ihrWunsch war es, sie aller Welt zur Belehrung zn reden. Verschloßsich die Welt in ihrer Unfähigkeit, hellenischen Geist aus den Becherndieser Lehrer zu trinken, vor der Wahrheit, so waren nicht sieschuld, daß ihre Sprache, welche man nnter dem Begriff sinnge-mäßes Schaffen zusammensaßte uud man als das Ideal harmo-nischen Menschentums pflegte, eine geheime, ein formales Kauderwelschmir für Berliner Architekten wurde. Eine Art Weltslucht, sagt HansSchliepmann , der Aachener Architekt, der wohl selbst noch in BöttichersLehre erzogen wurde, eine Art Weltflucht beherrschte die Geister.Die rauhe Wirklichkeit durste in die heiteren Regionen, wo diereinen Formen wohnen, nicht störend eindringen. Aber man flohnicht, nm die Welt zu verleugnen, sondern um ihr eine schöneScheingestalt zn geben, sie in ein Reich alsoluter Ästhetik umzu-gestalten, wie es Hegel philosophisch festlegen, wie es Goethe olympischschaffen wollte. Diese Zeit kannte daher nicht das Wort modern: