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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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II. Die Klassiker.

strebungen zu unterstützen, sein Hof ließ ihn aber im Stich. SelbstPrinz Wilhelm ließ Schloß Babelsberg von Schiukel in englischerGotik errichten.

Im Kirchenban stand es nicht anders. Schinkel hatte es mitder Gotik versucht. Er hatte seine Pläne nicht durchzusetzen ver-mocht. Das lag nicht nur am Mangel von Mitteln in Preußen ,sondern mehr am Mangel religiösen Lebens. Man wollte zwarnach den Befreiungskriegen hier, wie in England , da das Nichts zutotenkopfartig zum Fenster hereingrinste, die alte christliche Frömmig-keit erwecken, man quälte sich, den Glauben und in ihm die Wahr-heit zn fiuden, man strengte sich aus Wahrheitsliebe an zu lügen.So erzählt in seiner köstlich packenden Weise Paul de Lagarde.Der König hatte bereits 1814 sich öffentlich für die Hebung desreligiösen Lebens ausgesprochen, 1817 den bekannten Aufruf zurEinigkeit, Union der Lutherischen und Reformierten, erlassen alsschönste Dreijahrhundertfeier von Luthers Thesenanschlag. Nichtsollte eine Kirche in die andere übergehen, sondern beide eine neu-belebte evangelische, christliche Kirche werden. Nicht durch Ver-fügungen ansgedruugcn, sondern aus der Freiheit eigener Über-zeugung solle sie hervorgehen. Und wirklich gelang es trotz demheftigen Unions- und Agendenstreite bis 1831, abgesehen von einigenhundert, die Gemeinden zur Annahme der neuen Einrichtungen zugewinnen; kleinere Staaten, aber auch Baden, Hessen, Württemberg folgten bald nach. Das Streben ging dahin, durch eine einheit-lichere Ordnung der Liturgie den Übelstünden abzuhelfen, die hierund da hervorgetreten waren. Es war kein Wunder, daß dieseAbsichten auch im Kirchenbau sich äußerten, daß man nach Normal-bildern für ihn rief, daß man die Angelegenheiten auch der kirch-lichen Kunst von oben herab zu regeln trachtete, mit väterlicherFürsorge, nicht mit Zwang. Die Kirchenbaukunst im Lande sollteaus Berlin von Schinkel bezogen werden.

Berlin war freilich ein schlechter Boden für ihre Verinner-lichung. Das geistige Leben war hier ganz in der Hand der Ge-bildeten. Es war die Zeit von Friedrich Schlegels Lucinde, der Frei-geisterei in den Ehefragen, der beginnenden Nomantik, durch welchesich die jungen Dichter und Denker in den .Kreis der aufgeklärten