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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Entstehung
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Rauch.

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zu ehren wußte, und daß dieser mit nie schwindender Dankbarkeilan seine Leidenszeit zurückdachte, nicht wankte in der Treue gegenseinen Herrn; daß er in deutschem Sinn es mit seiner Freiheitvereinbar hielt, er, der vornehme, schöne, gefeierte Greis, Herrenbesessen zn haben und noch zn besitzen, im Gegensatz zu den Frei-heitsschwärmern, die dem Jahr 1848 Andrängten.

Rauch fand bei Thorwaldsen die Kunst, die er lange mit derSeele gesucht hatte. Sein Schüler Nietschel traf seine eigene An-sicht, als er 1830 an ihn schrieb, wie er sich in Rom nicht sattsehen könne an der spielenden Leichtigkeit und jugendlichen Frische,mit welcher der Däne die schönsten, mannigfaltigsten Gestalten undFormen hervorzaubere, die Sinne ergreife, das Auge auf höchstegeistigste Weise ergötze. Aber er fühlte Rauchs und die eigene Stellungdadurch uicht beschränkt uud sprach sich darüber sehr deutlich aus.Auch andere hätten neben Thorwaldsen ihr Daseinsrecht: Wennauch mit weniger glänzender Leichtigkeit begabt, aber voll männ-lichem Ernst, gründlicher Tiefe und beharrlichem Willen streben siezur Meisterschaft; sie geben viel Freuden des Lebens dahin, nmWerke zu schaffen, welche nicht bloß mit den schönen Formen alleindas Kennerauge ergötzen; die vielmehr, und das stand ihnen höher,vom Volk begriffen fein wollen, die das Volk durch schöne Formerheben, erfreut, begeistert werden lassen. Nietschel stellt diese Art,welche die Ranchs und die seine war, vom christlichen und sittlichenStandpunkte höher als jene Thorwaldsens, die ihm namentlich inder Darstellung christlicher Vorwürfe stets ebenso wenig zusagteals den frommen katholischen Romantikern.

Die eigentliche künstlerische Sehnsucht Rauchs giug nicht aufdas christliche Gebiet, so wenig wie ans die ihn zumeist beschäftigendenBildnisftatuen aus, sondern auf ideale Gestaltungen im Sinn derAlten. Die Genien sind wohl die um ihrer selbst willen meist bewun-derten Werke seiner Hand. Es wirkt ein reizvoller Fluß der Linienin ihnen, aber ein nenes eigenes Leben nur in bescheidenem Maße.Sie verschwinden in der Masse dessen, was andere rings um ihnschufen. Nicht die Schönheit des einzelnen Werkes entscheidet fürdie Stellung von Rauchs Kunst in der deutschen Entwickelung,nicht durch diese ist er eine der bemerkenswertesten Erscheinungen

Gurlit t, 19. Jahrh. 7