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III. Die alten Schulen.
— das mag ihn Graff gelehrt haben. Denn der ganze Aufsatzsteht an künstlerischem Empfinden ganz erheblich über der Gleichedes damaligen Verständnisses für die schöpferischen Werte in derKunst. Sulzer wußte wohl, daß de Piles dringend empfohlen hatte,im Bildnis die Fehler der Natur zu verbessern; daß Richardsoudie Schmeichelei billigte, wenn sie nicht zu sichtbar sei, uicht der Ähn-lichkeit schade, und wenn sie fehlerhafte Nebendinge fern hielte; erhatte die Reden Reynolds gelesen, der nüchterne Bildnisse aufeine niedere Stufe mit den mißachteten Arbeiten eines Teniers undOstade stellte; er wußte, daß Reynolds vom Maler das Erfassendes allgemeinen Wesens, nicht bloß das peinliche Nachbildenjedes einzelnen Zuges fordere; daß er das Bild selbst auf Kostender Ähnlichkeit znm Typus zu erheben anwies; und daß er im ge-schichtlichen Bildnis die höchste Aufgabe seiner Kunst erblickte: Dennin ihm bilde mehr der allgemeine Eindruck der Besonderheiten deSMannes als die Ähnlichkeit das Ziel.
Dein gegenüber können wir in Deutschland unseres Grasfuns nur frenen. Reynolds Größe liegt ja freilich auch darin, daß seinunbewußtes Künstlertum stärker war als sein nach Grundsätzen ord-nender Geist; daß er mehr nüchterne Bildnisse lieferte als geschicht-liche. Und heutzutage besteht unter Reynolds Verehrern keinZweifel, daß seine glänzenden künstlerischen Gaben tief herab-steigen, sobald sie einen Anlauf nehmen, ideale Höhen zu erklimmen.Das Heil der Loudouer Akademie lag darin, daß ihr Präsidentzwar theoretisch dem wissenschaftlich ernüchternden Zeitgeist desIdealismus Folge leistete, in Wirklichkeit aber ein ausbündig ge-schickter Realist blieb. In Grasf fehlt das schulgerechte Anhängsel,er ist nur Maler, und als solcher eiuer, der sich vorReynolds, dem größten Porträtisten der Zeit, nicht zn ver-stecken braucht.
Ein wunderbarer Umschwung! Dresden kam ans der Ver-ehrung der Rigaud und Silvestre, der großen Neprüsentatiousmalerim Stile Ludwigs XIV. , unmittelbar auf den Maler der Natür-lichkeit. Es hatte bisher aus Paris seine Vorbilder bezogen, jetztvon den biederen Schweizern, die wie in der Dichtling, so in derKunst überall in den Vordergrund traten. Die Weltmänner ver-