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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Grast' als Seelemnaler.

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schwanden, die mit lächelnder Anmut vor der Staffelei standennnd den Pinsel mit zierlichem Schwünge, gcsellschastsmäßig, znbewegen wußten, der behäbige Bürger mit breiter anheimelnder alle-mannischer Mnndart wurde ihnen bevorzugt. Anch hier RousseauscheGedanken: das Einfache ist tiefer. Der Schweizer stand der Wiegeder Menschheit, der goldenen Zeit der Unverderbtheit näher.Er sah auch tiefer in die Augen der Menschen, verstand siebesser um ihrer selbst willen. Fort mit falscher Repräsentation!Nicht mehr wollten die Reichen, selbst nicht die Fürsten sich in derPerücke, im Staatsgewand, vor der Rigaudschen Säule, vor demprachtvoll gebauschten Samtvorhange sehen, sondern so wie siewaren, im Hausrock, Wenn's die Mode gestattete, in natürlichemHaar, über den Stuhl gelehnt, den Beschauer wie im Gespräch an-schauend, statt wie früher vor ihm in Parade gestellt. Das lehrteGraff seinen Auftraggebern, dahin wußte er sie zu führen durchdie außerordeutliche ihm zur Verfügung stehende Kunst, ein Bildzu einer Einheit zusammenzufassen mittelst des Lichtes, der Unter-ordnung der Nebendinge im Ton bei voller Klarheit auch in denSchatten uud durch die Sammlung der ganzen Wirkung auf dieAugeu. Das ist das große Rätsel der sprechenden Wirkung seinerBilder, daß er in den Augen alle Kraft vereint, daß er auf sie denBlick lenkt, wie man im Gespräch dem Gegenüber ins Auge schaut.Graff sürchtet sich nicht, die Wirkung des Blickes manchmal bis insStechende zu übertreiben, wenn nnr damit erreicht wird, was ererzielen wollte, dem ganzen Kopfe redende Lebendigkeit zu gebeu,den Beschauer unter den Eindruck zu bringen, welchen er selbst imMalen auf den vor ihm Sitzenden ausübte. Viele konnten, wieSulzer erzählt, den fcharfen nnd empfindungsvollcn Blick, mit demer ihnen in die Seele zu driugen schien, nicht ertragen. Sulzer erläutert, welches Glück es wäre, weun wir ein ähnliches Bilddes Cicero besäßen. Wenn er damit den geschichtlichen und ästhe-tischen Wert des ganzen Kunstzweiges beweisen will, so dankt erdie Erkenntnis vom Wert der Wahrheit seinem Schwiegersöhne, wiewir es heute Graff dankeu, daß er uns übermittelt hat, wie diegroßen Männer seiner Zeit aussahen. Welches Glück, daß wenig-stens nicht die ganze deutsche Kunst idealistisch so verkuvchert war,