Schadow als Realist.
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Brüsten der Klassizität gelegen habe, daß er die ihm gestellte geist-reiche Aufgabe zn lösen vermöge mit allen ihren nur wissenschaftlicherforschbaren Geheimnissen. Ein ganzer Mann ist er erst da, wo erpreußisch und wo er realistisch wird. Hier schafft er Dauerndes.Sein Zieten (1793) könnte hundert Jahre später entstanden sein,ist heute noch modern, heute noch ein Ding mit dem sich die Mengebeschäftigt. Nicht weil er schön, sondern weil er so ehrlich häßlichist, der ruhig ausspähende, erwägend an einen Baumstumpf ge-lehnte Hnsar, dem man die rasche Thatkraft und die Sicherheitim Wählen des rechten Augenblicks ansieht, im Verweilen einHandelnder. Man kann es angesichts der trefflichen Schlachten-reliefs am Sockel wohl verstehen, daß Schadow klagt, seine Werkstättesei während des Schaffens voller Pferde und Husaren gewesen, daßer nicht las, nur für sein Denkmal die rechte Stimmung, den rechtenInhalt zu finden, sondern das Leben beobachtete. Unter denvielen Mouvements, die das Pferd macht, mnß ich diejenigensaisieren, die ich gerade brauche! So redet ein Künstler, der dnrchForm sprechen will.
Aber dieser Zieten ist kein Werk einer neuen, sondern eineralten Kunst. Neben ihm stehen gleichwertige Bildsäulen vonMichel und von Tassaert. Sieht man dieses niederländischenMeisters Büsten durch, die an Kraft des individuellen Lebensjenem des großen Franzosen Houdon nahe stehen, so erkennt man,daß 1780 ein Realismus in Berlin heimisch war, der 1880 nochnicht wieder in gleicher Vertiefung erreicht worden war. DieseFrische, die aus Schadow spricht, ist ein Gut des alten Jahr-hunderts, nicht des ueuen.
Minder glücklich ist Schadows Friedrich der Große für Stettin(1793), obgleich er das einzige Bildwerk ist, in dem der König soerfaßt wurde, wix er lebte; das ihm über die Eigentümlichkeitenseines Körperbaues keine Schmeicheleien sagt. An Wert verwandtist sein Leopold von Dessau (1800), eine so schlichte, so lebendigePrachtgestalt, wie deren die Zeit nur sehr wenige hervorbrachte,von der König Friedrich Wilhelm III. alsbald erkannte, daß esein originelles Stück für einen originellen Menschen sei.
Aber es blieb nicht bei diesen männlichen Statuen allein.