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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Neue gotische Kirchen. Symbolik.

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denken und schaffen; man kann wohl die Rolle, welche die Gotikuns zu sprechen gab, vortrefflich schauspielern, so daß alle Zuschauerim Theater des Zeitgenossentnms begeistert in die Hände klatschen;aber wenn das Jahrzehnt vorbei, der Vorhang gefallen ist, erwachenwir zur Erkenntnis, daß uus eiue Komödie hänselte, falsches Pathos,unwahrer Flitter, daß das eiuzig Echte verdorben worden ist, wassich wirklich in den Kirchen Vorsand, nämlich das Alte.

Einer alten Kirche soll man ansehen, daß sie alt ist; man solljene, die sie auffrischen wollen, ebenso verlachen, wie jene, dieein altes Gesicht juug schminkeu. Man soll dafür sorgen, daß dasAlte nicht verfällt, aber man soll auch endlich die Thorheit auf-geben zn glauben, daß man Altes schaffen oder künstlerisch ergänzenkönne. Sobald man über das mechanische Ausbessern hinausgeht,kommt man in die Gebiete gefährlicher Selbsttäuschung!

Das eifrige Geschaffe der Restauratorcu blieb aber uicht dieeinzige Bethätigung des romantischen Bausinnes, sondern dieserdrängte auch aus selbständige Änßernng, namentlich im Kirchenbau.Gewissem Einfluß hatte auf diesen die mittelalterliche Symbolik.Schon der 340 gestorbene Ensebius setzt bei der Einweihung derKirche vou Tyrus das Bewußtsein voraus, daß die Kreuzform derKirche auf Symbolik beruhe; die zwölf Pfeiler der Grabeskirche zu Jerusalem wurden schon zu Konstantins des Großen Zeit aufdie zwölf Apostel bezogen. Inwieweit diese Symbolik aber auf dieAuordnung selbst von Einfluß war oder nur eiue Nebeuauschauungdes Schaffens ist, darüber sind die Akten auch heute noch nicht ge-schlossen. Hier handelt es sich darum, welche Symbole ans die neueKnust einwirkten. In dem Buche des Regensbnrger DomvikaresG. Jakob: Die Kunst im Dienste der Kunst, das seit 1857 in dritterAuflage erschien, kann man da5, was die Kirche in Deutschland für richtig in küustlerischen Dingen hält, übersichtlich beisammenfinden: Die Symbolik fordert, die Kirche solle ein Abbild sein dessichtbaren Reiches Christi in der Zeit, des Reiches Gottes inneruns uud des ewigen Reiches Christi im Himmel. Jeder Teil desBaues solle den beschauenden uud denkenden Gläubigen auf diesedrei Vorbilder hinweisen. Die Jesuiten haben diesen Gedanken amentschiedensten aufgegriffen.