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VI. Die historische Schule.
führung, des lebendigen Farbenscheins im Grunde nicht bedürfen;er müsse den Irrtum ablegen, daß solche Werke in der Zeichnung,im Schwung der Linien den gemäßen Ausdruck fänden. Nicht beidem Volke, uicht bei den Künstlern, sagt Woltmann, machten seineSchöpfungen Eindruck, sondern nur im gebildeten Publikum. Diesfühlte sich durch deu stofflichen Inhalt angezogen, der seiner Bildungschmeichle. Im Anblick des Bildes orientierte es sich durch dieLektüre eines gedruckten Programmes, das ihm die Intentionen desKünstlers erschloß — ich schreibe absichtlich das halb französische,halb klassische Kauderwelsch nach, welches damals ein Kunstgelehrterfür gebildet hielt und das so ganz und gar zeigt, wie er selbstKaulbachscher Art voll war. Man staune den gewaltigen Apparatan, den der Maler aufwendet, um seinen Gegenstand in Scene zusetzen. Der elegante Flnß der Linien läßt übersehen, daß demKolorit Wahrheit und Haltung fehlen; man begnügte sich mit derunvollkommenen künstlerischen Wirkung; wird doch der Scharfsinnund die Überlegung des Beschauers auf das Lebhafteste in Anspruchgenommen.
Das wurde freilich erst 1878 geschrieben. Zunächst galt esandere Kämpfe anszufechten, die über die Wahl des rechten „historischenMomen tes".
Ein endloses Streiten darüber. Es giebt Wohl nicht zweiMenschen, welche die eigene Zeit, sie mögen sie noch so genau kennen,gleich beurteilen, aus gleichen Ursachen, aus gleichen Folgen er-klären. Wieviel weniger kann es gelingen, eine fremde Zeit richtigzu erfassen. Die Geschichtschreibung hat das Streben objektiv,gerecht zu seiu. Sie kaun es, solange sie einfach Thatsachen wieder-giebt, alle ihr erreichbaren Thatsachen ohne Wahl und ohnePrüfung. Sobald sie kritisch sichtet und zusammenfaßt, wird siesubjektiv, hört sie aus wahre Geschichte zu sein, sondern ist jene,die dieser oder jener für wahr hält, nach bestem Gewissen. Wiedas Streben nach einer reinen Schönheit ist das nach der allenoder doch nur allen Guten richtig erscheinenden reinen Wahrheitnichts mehr als eine Krankheit der Zeit.
So war bei jedem geschichtlichen Bilde ausgeschlossen, daß alleihm zustimmten, sobald es eine noch die Geister beschäftigende