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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Der historische Moment. Historische Wahrheit.

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Frage berührte. Und darin liegt ja der sogenannte Geist derGeschichte, daß nicht die vorübergehenden, nebensächlichen, sonderndie großen, dauernden Fragen in ihr zum Ausdruck kommen sollten;oder richtiger, daß man in der Geschichte nach einer Bestäti-gung der Ansichten suchte, die man über ernste, noch offeneFragen einmal hatte. Die Geschichte soll unsere Lehrmeistern: sein.Mir will aber scheinen, als sei sie die allerundeutlichste und ver-worrenste Lehrerin, die man sich denken kann. Jeder hält in ihrsür wahr, was ihm Paßt; schimpft den anderen einen schlechtenKenner, der die Dinge anders auffaßt; und jeder macht durch ge-wagte, notwendigerweise viele der unzähligen Umstände übersehendeBergleiche zwischen alten und angeblich ähnlichen neuen Verhältnissenund Vorkommnissen der Welt weis, die Dinge in ihr wiederholtensich, so daß ein Beispiel für das andere die Lösung biete. Wietausendfach ist gesagt worden, daß die Völker der Abfall von ihren:Gottc oder ihren Göttern in das Verderben gestürzt habe; wie oftist unserer angeblich gottlosen Zeit damit der Untergang angedrohtworden! Und wie überzeugend klar hat Graf Gobineau nachgewiesen,daß nicht der Mangel, sondern die Überfülle an Religionsübungmeist neben dem Verfall herging, fast bei allen verflossenen Völkernder Welt. Also selbst mit diesem größten Satz, den die Geschichteangeblich lehrt, steht es ganz zweifelhaft. Nun gar mit einem Bilde,das in einem Augenblick Ursache, Wirkung und Folgen einer Welt-cntwickelung darzustellen sich unterfängt! Es ist die neue Forderungder Ästhetik, die großen Gedanken in geschichtlicher Form zu geben,wohl außerordentlich befruchtend für das Schaffen gewesen, aberdas Schaffen war wieder gelehrt, nicht künstlerisch.

Darstellung weltgeschichtlicher Männer und Begebenheiten!Nicht bloß Ereignisse, die einst geschahen, sondern die einen Einflußauch auf anderweitiges Geschehen hatten und diesen Einfluß auchzeigen; das Bild als Verknüpfung zwischen Vergangenheit undGegenwart. Nicht die übergeistrciche Art Kaulbachs: das Bild sollgeschichtlich richtig, möglich oder doch wahrscheinlich sein; manhat wohl dem Maler wie dem Schriftsteller dichterische Freiheit zu-gestanden, aber diese soll über das Glaubhafte nicht hinausgehen.Kaulbach hatte iu seiuem Rcformationsbilde im Berliner Museum