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VI. Die historische Schule.
durch die Mißachtung dieses Gesetzes den denkenden Beschauernsein Bestehen vor Augen gerückt. Er hatte iu realistischer Be-handlung Männer aus sünf aus einander folgenden Jahrhundertenso zusammengebracht, als ob sie im Lebeu miteinander verkehrthätten, als ob es sich um eine der Geschichte angehörige Be-gebenheit handelte, während doch diese Möglichkeit aus zeit-lichen und örtlichen Gründen ausgeschlossen ist. Darum ist dasBild schlecht, ästhetisch falsch. Dies Urteil ist nach der Poll-endung des Bildes weit verbreitet gewesen. Es trifft ebenso undstärker auf Rnfaels Disputs., ja es trifft auf fast die ganze ältereHistorienmalerei zu, die in unzähligen Dingen, Kleidung, Neben-umständen, Mißverständnis der Geschichte die schwersten Fehlergegen die Wahrscheinlichkeit beging. Man denke z. B. an einenMaler, der etwa ein Jahrhundert früher als Kaulbach malte, anTiepolo; der stellt im Würzburger Schlosse die Trauung des KaisersFriedrich Barbarossa mit Beatrix von Burgund dar: der Kaisermit großer Halskrause, Gnadeukettc, Pusfenärmeln, die Kaiserinim Reifrock, das Gefolge in der Kleidung des 18. Jahrhunderts;der ganze Vorgang in einem Sänlenhofe des späten Barock;man kann wohl sagen, daß nicht ein Stück wahrscheinlich ist;man kann bis in die Einzelheit den Satz verteidigen, daß inWirklichkeit damals, 1156, nichts so ausgesehen habe, wie esTiepolo darstellte. Hatte also die idealistische Kritik recht inihrer Forderung der inhaltlichen Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit,so hat Tiepolo ein schlechtes, richtiger gesagt, kein historisches Bildgeschaffen. Und das war die Ansicht aller, die etwas von derSache verstanden.
Es gehörte demnach vor allem wirkliche geschichtliche Kenntniszum Schaffen des Historienbildes, namentlich Kenntnis der Dinge,welche der Zeit das äußerlich sichtbare Erkennungszeichen gab, alsoder Sitten, der Trachten, der Kunst- und Lebensformen der dar-zustellenden Zeit. Die Künstler, welche bisher die Philosophie unddie Dichter kennen zu lernen getrachtet hatten, warfen sich nun aufdie Kunstgeschichte. Und sie thaten sehr gut daran, denn die Wissen-schaft des Schönen war ja auch von dem philosophischen Ergründenzum geschichtlichen Darstellen des Werdens der Kunst umgeschwenkt.