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VI. Die historische Schule.
Zeiten in Ansnahme kamen, wie die Gelehrten ins Kunsttand aufEntdeckungsreisen gingen nnd die Fahne des Verständnisses hier unddort als Zeichen der Besitzergreifung hißten; wie sie, mit ästhetischenSchenklappen wohl ausgestattet, den Kopf nach allen Seiten wendenlernten, verwundert das Verachtete schön, das Verhöhnte ernst,im Unbedeutenden Sinn fanden. Ich darf wohl mitreden vondieser Stimmung, die ich selbst durchmachte, als ich mein Buchüber die Barock- und Rokokoarchitektur vorbereitete. Ganz einge-schüchtert war ich Mitte der siebziger Jahre an die Arbeit gegangen,von der mir jeder als einer durchaus unersprießlichen abriet. Werwill sich dauernd mit dem Widersinnigen beschäftigen! Und nachJahren des Sehens, des Einlebens hatte ich alle Mühe, mich selbstvor Überschätzung jener Zeit zn bewahren!
Bis dahin hatte die Ästhetik die Kunstgeschichte als ihr Neben-sach betrachtet. Die Gelehrten der über die Mutter hinauswachsendenWissenschaft, hinauswachsend nicht an Geist, Wohl aber an Umfangdes Betriebes, haben der Ästhetik einfach mit Nichtbeachtung ge-antwortet. Die Geschichte der Ästhetik, wie sie noch heute geschriebenwird, kennt die Arbeiten der Geschichtschreiber nicht oder behandeltsie als nebensächlich. Die Kunstgeschichte hat sich in ihrer Weisegerächt und sich immer weniger um die Ästhetik gekümmert. Beidegingen, zum gegeuseitigeu Nachteile, ohne Teilnahme nebeneinanderihren Weg. Es gab noch einige Leute, die das ganze Knnst-wissen umfaßten, die etwa einen solchen Merkstein ani Scheidewegebilden, wie Alexander von Humboldt an dem der Naturwissen-schaften. Ein solcher war Moriz Carriere . Sein Hauptwerk DieKunst im Zusammenhang der Knlturentwickelnng und die Idealeder Menschheit hält aber mehr ein alles beschickendes Wonne-gefühl vor den Hoheiten des Geistes zusammen als eine wirklicheTiefe. Mir will scheinen, als sei Hermann Hettner der letztegewesen, der im vollsten Umfang Ästhetiker und Kunstgelehrter war,wenn er gleich nicht über alle Teile seines Wissens schrieb.
Die Absicht, durch Kunstgeschichte das Volk zum Schönen zuerziehen, kann aber heute bereits als ebenso gescheitert gelten, wie dieästhetischen Versuche. Das sieht man schon daraus, daß so vielüber die Sache gesprochen und geschrieben wird. Ganz und gar