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VI. Die historische Schule.
betreiben, wenn man den letzten Grund der Wandlungen einer somerkwürdigen Lebcnsäußerung, wie die Tracht ist, zu ergründensucht. Aber wenn man nur wisseu will, welchen Schnitt die Gugelim 15. Jahrhundert oder die Pluderhose im 17. Jahrhundert hatte,so ist das ein Forschen nach nicht sehr wichtigen Fragen. Werdiese Untersuchungen eifrig betreibt, für den sind sie interessant,deuu interessant ist alles, wofür man sich interessiert. Hort manauf, sie zu betreiben, so sind sie oft herzlich gleichgültig.
All diese wahrheitlichen Werte, die seit K. F. Lessiug undPiloty geschaffen wurden, iudeiu mau die Geschichtsbilder in immerrichtigeres Kleid steckte, können nnr bemerkt wcrdeu, weuu die Beschauerdieselben oder doch ähnliche Kenntnisse haben. Nnn kann man alleTage im Theater sehen, daß es die Zuschaner gar nicht stört,wenn der König in einem der Shakespeareschen Dramen ans einemRokokothrone sitzt, ja selbst, daß nur Wenige dagegen Einsprucherheben, wenn sich Agamemnon ans einem solchen niederläßt. Allemit so viel Lärm verküudeteu Errungenschaften der Bühnenknnsthaben nicht für sich zu erwärmen vermocht. Solange die Meiningermit lautem Geschrei hinausposauuteu, wie echt sie feieu, hat mansich die Echtheit gefallen lassen, sich wohl gar mit ihr ernstlich be-schäftigt. Aber ein witziger Kopf, wie der jetzige Meininger Hof-theaterintendant Paul Lindau , merkte sehr bald, daß sie im Wider-spruch stehe mit der oft haarsträubenden Unechtheit Shakespearesnnd auch uoch Schillers. Und man begnügte sich bald mit demWahrscheinlichen, das heißt mit dem Zugeständnis, es gehe auchohne volle Echtheit, da sich die eigentlich historische Stimmuug durchden rechten Schnitt der Hosen und Mieder nur auf die im Theaternie ganz zu befriedigenden Trachtenknndigen, aber nicht aufs Volkübertragen lasse.
Sieht man die Fragen genauer au, so zeigt sich, daß dieKüustler mit ihrer Trachteukunde eine Thorheit gegen sich selbstbegingen. Sie selbst waren es, welche die Beschauer erst kritischstimmten. Dieselben Kunstfreunde, welche Holbein oder Dürer alleFehler ruhig hingehen ließen, weil diese sie in ihrer Unschuld be-gaugeu hätten, stöberten ihr Wissen durch, um dem schuldigenneuen Maler Irrtümer nachzuweisen, uud eilten, wenn sie solche