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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

ständige» für abscheulich, für allen Gesetzen des Schönen wider-sprechend, für ein Verbrechen am Geiste der Kunst erkennen. Imselben Moment erhebt sich aber unter den Genossen des Künstlersder Jubelruf, daß die neue Kunst geboren fei! Der Kampf tobtheftig, beide Parteien werfen sich gegenseitig ihre Ästhetik mit stür-mischer Entrüstung an die Köpfe. Die Alten holen ihre bewährtenGesetze hervor; die Jungen stoppeln rasch ein paar Phrasen vonFreiheit, Recht der Persönlichkeit zusammen, jauchzen dem Altenihren ganzen Abscheu, ihre Langeweile, ihr keckes Lachen entgegen,nur gehorchend ihrer Lust am Neuen, ihnen Eigenen, unbekümmertum die Folgerichtigkeit ihrer Schlüsse; denn die waren fertig, ehedie Vordersätze da waren.

Kann man von einer Ästhetik Delaeroix' reden! Sie erhebtsich auf die Höhe der Ethik jener Franen, welche sagen: die FrauNachbarin besitzt oder macht dies und jenes; warnm soll ich esnicht auch haben und thun? Er steht zur Schönheit wie jenezur Tugend. Hat sie Rubens, Rembrandt, Vetazauez, Shakespeare gehabt, ist sie bei Paolo Verouese, bei Michelangelo zu Hause?Und doch sind sie große Meister. Ihr, die ihr die geraden Nasenund die nach dem antiken Gips gezeichneten Gestalten über allesstellt, habt nie zu diesen Helden des Schaffens in einem redlichenVerhältnis gestanden! Ihr mußtet sie loben, könnt es aber nnrmit Seufzern und Achselzucken. Hat denn Sokrateö ein klassischesGesicht gehabt und sind denn die großen Männer von klassischerGestalt? Soll man die ganze Welt über einen Leisten schlagen,die so reich an eigenartiger Form ist, bloß weit euch Akademiker»,Ästhetikern mir eine Form gefällt. Ein Silen, ein FaMi sindschön; alles, was freien, selbständigen Ausdruck hat, ist schön; häß-lich aber ist das Langweilige, das Abgeguckte, das Ideale. I^s

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Von den Kämpfen in Paris hatte man in Deutschland guteBerichte. Seit Jahren predigten Börne und Heine, daß das Lichtder Welt an der Seine leuchte. Man lese, was Heine 1831 überDetacroix schrieb, den er so ganz uud gar nicht verstand. Denndas Starke, Sieghafte in ihm, die Farbe, über das wolle er keinestrenge Kritik ausüben, da sie vielleicht mißlich ausfallen könne.