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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

wenn es nur stark riecht; wenn es nur Schauder erweckt; wenn esnur die armen, gemarterten Nerven packt. Sie ist nicht neu, dieseFreude am Vernichten, an dem Nebeneinanderstellen von Schönheitund Untergang: der Laokoon, die Fechtergruppen, die Niobiden, derFarnesische Stier, sie gehören dem asiatischen Griechentum und indiesem derselben Empfindung an. Im 15. Jahrhundert, in der Zeitder Mystik, der wildesten Askese, der Geisselei seierte sie ihreTriumphe: Die Niederländische Malerei, Nogier van der Weyden,Goes, die deutsche Bildnerei sind voll von solchen Nerven-erregungen, die Kunst, welche die behaglichen Herren Direktorenuud Assistenten in unseren Staatssammlungen so gern naiv nennen,obgleich keiner von ihnen je so tief, so grüblerisch, so uuuaiv ge-dacht hat, wie die Mystiker. Sie kamen wieder in den leidenschaft-lichen Tagen der Gegenreformation, in den protestantischen Grabes-phantasien der Zeit des dreißigjährigen Krieges und den Martyriender jesuitischen Kirche; sie spielten eine starke Rolle in der Dar-stellung des Gekreuzigten. Zwei Gegensätze hier: die einentönneu vor Nervosität das Blut uicht scheu und sind entsetzt,wenn ihnen Leiden vor Angen gestellt werden. Ihnen kaunChristus nicht schön, die Darstellung seines Todes nicht zart genugsein. Ist denn das Jammerbild am Kreuze eine Aufgabe ästhe-tischen Schaffens! Wer mag in Wahrheit dauernd eine Leiche inschrecklicher Lage vor Augeu stehen haben? Ist es möglich, diesemabscheulichen Bild mit Verehrung zu nahen? Schinkel, der Ner-vöse, in Irrsinn Verstorbene, hat es oft genug versucht, einen mitausgebreiteten Armen auf der Weltkugel steheuden Christus zu schaffenund hinter ihm das symbolische Kreuz aufzurichten, um eine Kreu-zigung ohne Schinerzen im Bilde anzudeuten, nicht das Gräßlichedarzustellen. Die anderen wollen dem Beschauer mit beiden Fäustenan die Nieren. Delacroix ist von dem Holze der Bildschnitzer des15. Jahrhunderts, die den Gekreuzigten in Form und Farbe wahr-heitlich, mager, zerschrotet von Leiden, mit natürlichem Haar undnatürlicher Dornenkrone, blutrünstig, überdeckt mit Wunden, mitersterbendem Blick, blanen Lippen der Welt vor Augen stellten.Das sind nicht minder Nervöse, nur solche, auf welche die Er-krankung anders wirkt; die noch starke Getränke lieben, uoch mit