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VII. Das Streben nach Wahrheit.
volle Aussöhnung mit der Wirklichkeit erreicht; hier findet der sichohne Vorurteil Darbietende den echten Frieden, den hohe Kunstzu geben vermag. Man hat das Bild, als es vor der Öffentlichkeiterschien, eine niederträchtige Blasphemie, die Jungfrau eine Dirnegenannt, die die Frucht ihrer Gemeinheit in einer Spelunke ansLeben brachte. Und man hat damit wacker geurteilt. So urteiltewohl der Pharisäer, weun man ihm, ans den ans dem Elend Her-vorgehenden hinweisend, den Heiland verkündete; so ist es wohldie Absicht der Bibel, daß sich die Gecken der Gesetze, sei es derpharisäischen oder der ästhetischen, über die zu den Tiefen derMenschheit sich uiederscnkende Botschaft erhaben fühlen sollen; sourteilte wohl auch der Römer, der Grieche über die jungfräulicheMutter, die im Stalle gebar.
Der aber, der sich an Nembrandt im Sehen geschult hat, wirdmit Staunen erfüllt von der Feinheit der künstlerischen Empfindung,dem bläulichen Dämmern in dem unwirtlichen Gelaß, dem unsicherenStreiten der schwachen Lichtquellen untereinander um die Herrschaftüber den nächtlichen Dunst im Raum, dem langsam sich erhellendenLicht über dem Chor der Engel, der ein Chor von armenKindern ist, die das Kind, den Erlöser begrüßen. Dies alles ist imBilde da in außerordentlichem Reichtum, es kommt freilich nnr fürden heraus, der es sucht. Aber wer es fand, dem steht es in un-anfechtbarer Herzlichkeit stets vor Augen.
Wie rasch hatte sich der Naturalismus, den noch Fiedler inder Feststellung der Wirklichkeit, in einer falschen, armseligen Gelehr-samkeit endeu sah, ganz verändert! Wohl plagten sich viele, einenEindruck wiederzugeben, den sie in der Natur sahen, fanden sichbefriedigt in der Bewältigung dieser künstlerisch hochstehenden Aus-gabe. Aber die Absage an den Inhalt war nicht erfolgt. ImGegenteil, das Ringen um ihn, ebenso wie jenes um die idealeForm sollte erst recht beginnen, gerade dnrch den Realismus.
Die jüngere Kritik nahm sich mit ähnlicher Leidenschaft, mitder die ältere sie bekämpfte, des jungen Realismus an. Sie suchteihn anch ästhetisch zu begründen, für sein Gefallen einen Grundzu suchen.
Die eigentümlichste Erscheinung dürfte hierin der Dichter