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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VIII. Die Kunst aus Eigenem.

Forderung, daß der Platz durch kräftig ausgebildete Wandungengeschlossen sei, saalartig erscheine; daß man nirgends wie zur offenenThüre heraussehe; daß seine Waudungeu unter sich in einem gutenVerhältnis stehen und namentlich zu einem den Platz beherrschen-den Hanptban. Dieser aber soll nie inmitten des Platzes stehen,wie dies eine bei nenen Kirchen beliebte Anordnung ist. Denn damitwird die Platzwirkuug vernichtet und der Zugang zum Bau er-schwert. Die Beobachtung, daß die ältere Kunst nie, oder doch sehrselten Kirchen frei aufführte, sondern stets andere Bauten an sieanlehnte, hat endlich der Welt klar gemacht, daß die Freilegungen,wie sie an so vielen Domen mit ungeheuren Kosteu bewerkstelligtwurden, dem zu ehrenden Bau mehr schaden als nützen.

Gegen diese Anschauung ist mancherlei eingewendet worden.Zunächst hat man sie altertümelnd genannt, und ihr entgegen-gehalten, wir modernen Menschen müßten modern zu sein den Muthaben, auch in baukünstlerischen Fragen. Das ist der Grundgedankeeines 1896 erschienenen Druckheftes, das der Wiener Architekt OttoWagner herausgab.

Der Ausgangspunkt des künstlerischen Schaffens müsse dasmoderne Leben sein. Jeder neue Stil sei allmählich aus dem früherendadurch entstanden, daß neue Bauweise und neue Baustoffe, neueAufgaben uud Anschannngen sich mit den früheren verbanden, somitNenes schaffend; also müsse auch die neue Zeit auf der Grundlageälterer Kuust Wagner wählt die letzte ihm selbständig erscheinendeForm, das Empire, hierzu die zeitgenössischen Aufgaben und Au-schauuugeu zur Schau bringen uud aus diesen Neues schaffen. Mandürfe daher nicht Altes nachahmen, sondern müsse dem neuzeitigenAnschauungen Entsprossenen Form zn geben suchen. Er wendetsich gegen jede Altertümelei, auch gegen das Anschmiegen neuerBauten an alte, gegen die Bestrebuugen auf malerische Wirkung.

Vor allen müsse man die Bedürfnisse unserer Zeit ergründen,denn etwas Unpraktisches könne nie schön sein. Daher müsse imGrundriß auf klareaxeale" und einfache Löfung hingewirkt werden,auf geschlossene Ranmeinteilung, Übersichtlichkeit. Wagner stelltsich auch hier gegen die malerische Wirkung, wie sie von der hannove-rischen Schule ausging, obgleich auch diese die Wahrheit auf ihre