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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Gerade oder krumme Wege. Nerkehrsplätze oder Marktplatze. 647

leugnen, daß durch die Gerade ein großer künstlerischer Reiz ge-schaffen werden kaun. Sie setzt ein Stück Laud iu streuger Be-ziehung zu den Zielpunkten, sie ordnet es diesen unter. Die Königeder Barockzeit wußten sehr gut, warum sie ihre Gärten in geradeLinien teilten! Diese machten das Schloß, als ihren Zielpunkt, zumkünstlerisch landbeherrschenden; sie wußten auch im Städtebau dieseGrundsätze durchzuführen. Die gerade Straße fordert ein Endziel,sie ist künstlerisch nur eine Vorbereitung für dieses, an sich gleich-gültig, wertvoll nur in Beziehung zum Ziel. Da uns Menschendie Augen nach vorn stehen uud nur den Pferden nach den Seiten,sehen wir, in diesen Straßen wandernd, auch nur das Ziel. Der Auf-wand an Architektur in den Straßenwänden ist im wesentlichen nur fürdie Gegenüberwohnenden und für die Droschkengäule sichtbar. Ge-rade Straßen ohne sehenswertes Ziel oder solche, die so lang sind,daß das Ziel uns, ehe wir es erreichen, ermüdet, sind langweilig,mögen sie sonst so großartig sein wie sie wollen.

Die krumme Straße bietet dagegen dem Auge stets eiucn Teilder Wandungen, führt ihm diese vor, macht, daß man ihre künstle-rische Ausschmückuug sehen kann. Der hohe schönheitliche Reiz alterStädte beruht auf dieser Anordnung. Durch den ständigen Wechseldes Bildes der Straße wird die Ermüdung ausgeschlossen. SolcheWirkungen zu erzielen, namentlich die öffentlichen Gebäude alsbaldfo aufzustellen, daß sie weithin sichtbar wirken, ist namentlich durchHcuricis Beispiel, vorzugsweise an seinem Bebauungsplan fürMünchen von 1893 angeregt worden.

Sittes Untersuchung betraf namentlich die Gestaltung derPlätze. Seine Forderungen haben sich rasch Bahn gebrochen. Mankann sie dahin erklären, das; die Plätze nicht aufzufassen sind alsVerkehrsknoten, sondern als Nuhepunkte im Verkehr. Die schlechtestenPlätze sind die Sternplätze, künstliche Schürzungen des Verkehrs,die diesen absichtlich in wirrer Weise durcheinander leiten. DieMärkte alter Städte bilden zumeist treffliche Anlagen, bei denendie Mitte von selbst verkehrsfrei bleibt, ebeu weil hier der aufeinem Sternplatz undenkbare Markt in Ruhe abgehalten werdensoll. Diese Art Anlage müßte man auch heute erstreben. Aber siesollen nicht nur ruhig sein, sondern auch ruhig wirken. Daher die