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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VIII. Die Kunst aus Eigenem.

Neues zu bieten vermöchte. Vou anderen Gesichtspnukten betrachtet,ergiebt sie neue Anregung. So haben zwei deutsche Baumeister,Camillo Sitte und Karl Henrici , an ihr Beobachtuugeu ge-macht, die in hohem Grade anregend wirken, nämlich über die künst-lerische Form des alten Städtebaues.

Unter dem Stichwort Der gerade Weg ist der beste! hatLndwig von Förster seinen Stadtplan für die Vergrößernug Wieus1859 geschaffen. Dies Wort herrschte über den Bauplänen, nachdeneu sich die Erweiterung der meisten deutschen Städte vollzog.Rechtwinklige Dnrchschneidungen gerader Straßen bildeten ganzeStadtviertel, eiu fortfallendes Häusergeviert den Platz, wenn mannicht vorzog, Steruplätze anzulegen. Die Kunst des Entwurfes be-stand darin, daß auf dem Plane das Straßennetz ein hübschesBild gebe; man liebte sogar symmetrische Anlagen, als sei es einGewinn für den Wandernden, wenn man auf einem Platze stehend,wisse, daß in einiger Entfernung sich ein ähnlicher befinde.

Wie uun jedes Schlagwort, so ist auch das vom geraden Wegsehr anfechtbar! Gälte es in den Städten, eine Wandelbahn voneinem Punkt zum andern zn fchaffen, so wäre natürlich der geradeWeg zwischen den beiden Punkten der beste. So einfach liegt aberdie Sache nicht. Es sollen über eine Fläche viele Wege gelegtwerden, mittelst derer man von jedem Punkte zu jedem anderenschnell gelangen kann, namentlich aber zwischen den wichtigerenPunkten vielseitige Verbindung findet. Dieses Ziel zu erreichen,ist der krumme Weg sehr oft der geeignetere, die aus deu Geradensich ergebende Schachbrettform sicher aber die verkehrteste, wennsie nicht mit einem System von Diagonalen verbunden ist. Dasergiebt aber lauter Sternplätze und dreieckige Hänserviertel. Soist deuu die Regel in unseren neuen Stadtteilen, daß man, sobaldman sich nicht in den Hauptrichtungen bewegen will, nm vieleEcken hernm, in Zickzacklinie:? von einem Ort zum anderen geht.Man kaun also für den Städteban mit ebensoviel Recht den Satzausstellen: Der gerade Weg ist der dümmste!

Die Abueiguug mancher gegen diesen ist also berechtigt, schondeshalb, weil bisher diese Linie fast allein im Städtebau herrschtund dadurch unsere Städte eintönig macht. Es ist wohl nicht zu