Rieth. — Hofmann. — Der Städtebau.
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Sehen dadurch, daß er perspektivisch entwarf nicht in der üblichenWeise auf Grundriß und Aufriß, die selbst für den Geübten nichtganz das Bild der geplanten Form wiedcrgiebt. Ähnliches habenja schon Viele früher geschaffen; aber bis weit in den Barockstilzurück fehlte der Architektur ein so starkes Gefühl für Massen,für Linie, ein solches Nanmeinpfinden. Das architektonische Gerüst,die „Ordnung", war stets die Hauptsache gewesen. Der Pilaster istdie Hure der Architektur! sagte einmal Rieth zu mir. Er giug denalten Formen nicht aus dem Weg, er will sie aber frei verwendethaben, namentlich aber der Masse der Mauer, der wuchtigen Flächeihr Recht geben. Ihr gegenüber steht das Ornament, das amrechten Fleck angebracht sein muß und dort entschieden zn wirken hat.
Die jüngeren Architekten folgen vielfach bei wachsender Meister-schaft in der Formbehandlung ähnlichen Grundsätzen. Sie sindmeist stark von Wallot beeinflußt und haben namentlich in derGestaltung der Jnnenräume dessen Anregungen fortgebildet. Manwird, sagt der in Berlin thätige Belgier Henry van de Velde , einerder Hauptvertreter der Neuesten Kunst im Gewerbe, ein einheitlichesZimmer einem ungeordneten und zusammenhauglosen vorziehen underkennen, das jedes Zimmer einen Hanpt- nnd Knotenpunkt hat, vondem sein Leben ausstrahlt und dem sich alle anderen Gegenständedarinnen angliedern und unterordnen müssen. Diesem nenentdecktenSkelett des Zimmers gemäß, fährt er fort, wird man die Ein-richtungsgegenstände anordnen, die man fortan als lebende Organedes Zimmers und der Wohnung empfinden wird.
Van de Velde gab die Entdeckung seines Gedankens im Herbst1897 der Öffentlichkeit preis. Es ist sicher seine eigene. Aber daß ersie fand, ist nur ein Beweis dafür, daß die Gedanken in der Luftliegeu. Denn dasselbe entwickelte mir vor etwa acht Jahren Wallotals den für ihn leitenden Grundsatz, nnd etwa gleichzeitig OttoMarch . Und beide waren damals keineswegs so sicher wie derBelgier , daß die Entdeckung in letzter Reihe von ihnen stamme.Sie meinten, daß man sie an alten Bauwerken, namentlich derSpätgotik und in England häufig machen könne.
Noch war und noch ist wohl aus der älteren Kunst nicht sosehr der letzte Rest ihrer Gedanken heransgesogen, daß sie nichts