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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Der Idealismus der Achsen.

Demokratische Kunst.

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Fahne schrieb. Er wirft ihr das vor, was sie gerade als ihr Zielansah: Einem begünstigten Gedanken für die Anßengestaltnng znliebedie innere Gliederung anzupassen oder gar ihm Opfer zu bringen.Das nennt er Lüge, während doch die Wahrheit der Leitstern seinmüsse.

Es gehört zu den Witzen der Ästhetik, diese wechselseitigenVorwürfe der Lüge gegeneinander ihrem Werte nach abzumessen.Ob die Gestaltung eiues Grundrisses ohne Zwang, ohne Rücksichtauf die Schauseite zuaxealen" Anlagen führe, ist zum mindestenfraglich von dem Augenblicke an, wo in einem Gebände verschieden-artige Anforderungen zu befriedigen sind. Es sagten daher andere:das, was Wagner als Wahrheit erstrebt, ist das Unkünstlerische,Nüchterne. Er selbst aber nennt den Kern seiner Wahrheit dasmoderne Leben und dessen Grundzug die Demokratie. Auch erstrebt einer Volkskunst zu und wünscht, daß diese demokratisch sei;denn das ist für ihn soviel wie modern.

Die Frage wird bei schärferem Erfassen tiefer, als Wagner siestellt. Ist denn die Demokratie der Zug unserer Zeit, liegt in ihrderen Zukunft? Man wird mir verzeihen, wenn ich mir versage,die Antwort hierauf zu geben. Die Demokratie, die Wagnermeint, nämlich die bürgerliche, hat unter den Modernsten, wenigstensim Deutschen Reich, nicht eben mehr viel Anhänger. Ich glaube,Wagner steckt etwas zu tief in den Ansichten von 1848, um sichfür modern halten zn dürfen. Denn das sind recht alte Ansichtensür die er eintritt. Modern ist die Socialdemokratie, sind die ver-schiedenen konservativen Parteien mit socialen Zielen, modern istdie Anarchie und sind die Bestrebungen der inneren Mission bisherunter zur Heilsarmee. Modern sind noch eine Reihe von anderengeistigen Richtungen, ist der Individualismus. Man wird auf derGrundlage, daß man bloß sich für modern, die anderen aber ent-weder für altmodisch oder irregeleitet erklärt, zn der gewünschtenVolkskunst nicht kommen. Ehe man also das Moderne erstrebt,müßte man tiefer sein Wesen erforschen, als es Wagner that.Bloß mit der Ansicht, daß es nicht das Alte, daß es Vermeidung desAlten sei, ist wahrlich wettig erreicht. Die Altertümelei ist doch auchetwas noch nie oder doch nur selten Dagewesenes; jene, die wir