Druckschrift 
Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Entstehung
Seite
650
Einzelbild herunterladen
 

650

VIII. Die Kunst aus Eigenem.

betreiben, die wissenschaftlich alles Alte umfassende, ist mir unsererZeit eigen. Das Nachahmen des Alten ist also sicher eine ganzmoderne Thätigkeit.

Jetzt stehen freilich andere Bestrebungen im Vordergrunde. Ichwill sie an eigenen Erfahrungen zu schildern suchen. Mit dem Endeder achtziger Jahre meldete sich die Ermüdung an den Stilformen imKunstgewerbe. Es begannen langsam neue Bestrebungen hervor-zutreten. Im Jahr 1887 schrieb ich mein Büchlein Im Bürger-haus. Wenn ich dort versuchte, mich gegen die Stilleidenschaftenzu stemmen, so war dies ein von außen nicht beeinflußter, sondernaus innerer Ermüdnng an dem deutschen Kunstgewerbe hervor-gehender Drang. Mir schien es wichtig, anszusvrechen, daß der Stilnicht unser Haus schmücke, sobald er nns selbst sremd ist; daß derKünstler kein wohnliches Haus schaffen kann, sondern daß wirselbst uns, jeder für sich dieses schaffen müssen; daß es anch hiernicht gelte, eine ideale, sondern eine eigene Einrichtung zuschaffen; nicht Schönheit, sondern Erfüllung des Zweckes zu erzeugen.Schaffe dir, schrieb ich damals, ein eigenes, deinem Wesen ent-sprechendes Nest nnd es wird dir gefallen, schaffe es in Durch-bildung deiner Ansichten über schön und häßlich und es wird sicherschön werden, wenn in dir die edlen Züge des Menschenherzensobwalten. Nicht die stilistischen Formen inachen ein Haus zumEigenwesen, das sich von der Masse der Mittelmäßigkeit wohl-thuend unterscheidet, sondern der Gednnkeninhalt, der unbemerk-bar nnd doch bestimmend in den Dingen waltet. Der Tischlermacht den Tisch; der ist ein unbeseeltes Ding, bis er das Mahlzu tragen gewohnt ist; bis an ihm das Unser täglich Brot giebuns heute! heimisch geworden. Dann erst ist er unser Tisch, dasharte Holz hat Sinn, ein Teil unseres Ich hat ihn zu einembedeutungsvollen Wesen umgeschaffen. Nicht die Raumgestaltung,uicht die Pracht machen das Zimmer schön, sondern seine Beziehungzum Leben.

Sollen wir stilvoll im Geiste früherer Jahrhunderte fort-schaffen, fragte ich mich weiter. Es war die Frage, die auf allerEinsichtigen Munde lag. Sollen wir eine Kunst der Selbst-entäußerung fortsetzen, deren Ziel doch nie ganz von nns erreicht