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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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siebentes Kapitel.

18601870.

Das Jahrzehnt vor dem großen Kriege ist in litterarischer wie überhaupt in künstlerischer Hinsicht so arm wie wenige in unserem Jahrhundert. Gottsried Keller schweigt; Theodor Fontane und C. F. Meyer, Anzengruber und Nietzsche haben den Pfad zur Unsterb­lichkeit noch nicht gefunden; Marie von Ebner-Eschenbach erschöpft sich in erfolglosen Anstrengungen. Von den größeren Talenten stehn zwar Storm, Heyse, Freytag, Scheffel, Riehl auf der Höhe, ohne doch neue Töne zu finden: sie schreiten nur fort auf den Bahnen, die sie vorher einschlugen. Vor allem aber ist Spielhagen mit seiner rastlosen und doch im Grunde monotonen Thätigkeit, mit seiner iu allzu angestrengter Produktivität erlahmenden stilistischen und technischen Begabung der Mann des Tages; neben ihm Fritz Reuter und Emanuel Geibel . Raabe, dem jetzt sein Bestes gelingt, wird noch kaum beachtet; Hebbel ist berühmt, aber im Erlöschen. Anerbach, noch immer vielleicht der Gefeiertste, versucht vergeblich im Zeitroman die Wirkungen zu erzielen, die die Dorfgeschichte ihm verschaffte.

Was neu auftaucht, hat nicht allzuviel zu bedeuten. Tages­erfolge blühen dem Nachfolger von Roderich Benedix , dem fruchtbaren Lustspielverfasser Gustav von Moser (geb. 1825). Tiefere Bedeu­tung kommt dem Ruhm Hamerlings und Jordans und F. W. Webers zu, älterer Männer, die jetzt erst mit ihren Hauptwerken auftreten; aber dauernde Macht können wir auch ihren Schöpfungen nicht zugestehen. Wohl dürfen wir das bei Fritz Reuters Dichtungen; aber auch er ist der Sohn einer früheren Zeit.

Die Hauptbedeutung liegt auch in dieser Epoche noch in großen, auch für die Litteratur bedeutsamen gelehrten und halb­gelehrten Werken. Der Optimismus Eugen Dührings und der Pessimismus Eduard von Hartmanns sind Voraussetzungen für

Meyer, Litteratur. 4V