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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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KinLeitung.

Wie ein ungeheurer, mit jedem Tage breiterer Strom fließt die Litteratur der Kulturvölker einher. Wer es sich vergegenwärtigt, welche Massen von Dichtung und Prosa ein jeglicher Tag neu ans Licht bringt, den mag wohl ein bedrückendes Gefühl erfassen. Nicht eine Seite in diesem papierenen Meer, für die ihr Verfasser nicht aufmerksame Leser, entschiedenen Erfolg, vielleicht dauernde Wirkung erhofft hätte. Und was bleibt? Einige wenige Namen und verschwindend wenig lebendige, anschauliche Kenntnis von Werken oder Persönlichkeiten!

Die Litteraturgeschichte der romanischen Völker rechnet mit der Thatsache dieser engen Auswahl. Tausend Autoren und zehn­tausend Werke schiebt sie beiseite; sie sind ihr nur das Lehrgeld, das die Nation daran wandte, um einen Molisre zu erziehen oder Victor Hugos Gedichte zu zeitigen. Aber die deutsche Litteratur­geschichte denkt milder und, scheint es nns, auch gerechter. Eigenes Recht spricht sie jeder wirklichen Kraft zu, auch wenn sie nicht zum höchsten Ziel gelangte. In jenem ungeheueren Strom der litterarischen Produktion erblickt sie vor allem ein Zeugnis unendlichen Strebens. Was zuerst niederdrückend wirkt, wird erhebend: Tausende sehen wir unermüdlich ringen, sehen wir über das kümmerliche Alltagsleben hinweg der Unterredung mit zukünftigen Freunden entgegenftreben. Der große Maun, den wir erst in einsamer Höhe sahen, ist nun für unser Auge nicht länger allen übrigen ein Vorwurf: zahlreich haben seine Zeitgenossen sich bemüht, ihm nahe zu kommen. Gilt dies Streben nichts, selbst wo es verunglückt?Wir sind nichts", sagt Hölderlins ernstes Wortwas wir wollen, ist alles."

Und doch welche Fülle von Kraft, von Talenten, von Ernst und von mindestens innerem Erfolg zeigen bei liebevollerer Prüfung auch dieseKleineren"! Es ist doch nichts Geringes, unter

Mcycr, Litteratur. 1