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EINLEITUNG
haben ihresgleichen; sie lassen sich nicht wie die großen Söhne andereritalienischer Landschaften von ihrem Hintergrunde loslösen, sondernsie sind wie die Seelen des Dantischen Venushimmels, die nach er-fülltem Tun und Sagen wieder zurücktauchen in die lohe Glut ihresElementes, um dort mit ihresgleichen in eins zu verschmelzen. Sopries man bisher meistens die Wunderstadt der Lagune als Ganzesund konnte die einzelnen ihrer Bürger nicht fassen.Es gibt aber noch einen selbstgewollten Grund für die Unberühmtheitdes einzelnen Venezianers. Venedig war ein Adelsstaat, und seine Nobilitätwollte nur in ihrer Gesamtheit unsterblich sein, — sie brachte es zu einertausendjährigen Herrschaft — aber um das Gleichmaß der aristokrati-schen Gesellschaft zu wahren, vermied sie es, daß eines ihrer Glieder insUngemessene über die andern hinauswüchse. So ist keinem der Edelleuteder Stadt ein Standbild errichtet worden, es sei denn dem Dogen, der vordem Markuslöwen kniet. Wohl aber erkannte die Stadt diese Ehre gerneihren eisernen Heerführern zu, die sie anwarb und besoldete, den Gatta-melata und Colleoni , heute noch allgemein bekannt durch ihre herr-lichen Reiterstandbilder in Padua und Venedig. Sie waren fremdeSöldnerführer, aus Narni und Bergamo gebürtig, die einzigen Kon-dottieren freilich, die Venedig auf die Dauer treu blieben; doch hattensie kaum so überragende Verdienste wie die der venezianischen Adels-schicht angehörigen Admirale: etwa ein Carlo Zeno, der im letztenAugenblicke mit der Flotte die Stadt vor dem Untergange rettete, undandere, die das große Kolonialreich schufen.
Weil diesen kein Standbild gesetzt wurde, kam es zum Mißverhältnis undzu der geschichtlichen Ungerechtigkeit, daß die Bedeutenderen der Ver-gessenheit anheimfielen und die rühmende Nennung der Minderen nochheute in aller Munde ist und bleiben wird.
Venedig war damals die erste Stadt der Welt — viel mehr als das von seinereinsügen Größe abgesunkene Rom; auch konnten sich Paris und London ,die ihre Kraft gegen Ende des Mittelalters in hundertjährigem Kriegeverzehrten, nicht messen mit Venedig, das den Welthandel zwischenAbendland und Morgenland ganz an sich gezogen hatte, das dem Zugrifffeindlicher Heere durch seine Lage im Meere entzogen war und dessen vor-bildliche Ordnung im staatlichen Leben mit unbedingter Ruhe im Innern