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KAPITEL III
HUMANISTISCHE ARBEITEN BARBAROS:PLUTARCHÜBERSETZUNGEN
WELCHE ROLLE SPIELT DIE ANTIKE IN DEM LEBEN DESFrancesco Barbaro , welche Gedanken und welche Männer des Altertumshinterließen in ihm den stärksten Eindruck? Diese Frage läßt sich für ihnallein nicht beantworten, sondern sie ist eingebettet in die umfassendereund seit einem halben Jahrhundert vielumstrittene nach der Bedeutungder Antike für die Renaissance 1 . Ist sie überhaupt allgemein zu beant-worten ? Oder zerfällt bei näherem Zusehen die Einheit, die als Renais-sance bezeichnet wird, in mehrere Abschnitte, während derer jeweilsverschiedenen Kräften des Altertums gehuldigt wurde ? Halten wir nurdrei Stadien jener Zeitspanne nebeneinander: Den Dichter Petrarca hobder Unmut über seine eigne Zeit zum Gefühl unmittelbarer Nähe zu dengroßen Alten; er schrieb ihnen Briefe ins Jenseits. In späterer Zeit schlugder Philosoph Marsilio Ficino im Gefolge des Altertums ganz andereBahnen ein und ließ sich von Piaton und Plotin zu spekulativer Mystikführen. Bei dem humanistischen Staatsmann Barbaro ist weder von Mystikund Philosophie im engern Sinne, wie etwa bei seinem jüngeren Zeit-genossen Ni kolaus Cusanus etwas zu spüren, noch eine unmutige Zurück-setzung der eignen Zeit hinter die Antike. Trotz dieser großen Verschie-denheit gibt es, wie man richtig hervorgehoben hat, ein Verbindendes,das sie alle umschließt. Das ist der national-italienische Stolz auf die römi-schen Vorfahren, die «maiores» schlechthin und auf deren Lehrmeister,die Griechen. Ein weiteres Ergebnis der neueren Forschung, das alsVoraussetzung für alle weiteren zu dienen hat, ist, daß Renaissance nichtWiedererweckung des Altertums bedeutet, sondern Wiedergeburt undNeuaufbau des eignen Lebens 2 ; nur darf man nicht den Zusatz vergessen:an Hand der Antike, denn es ist Aberwitz, das Altertum für jene Zeit alsbelanglos hinzustellen, wie es zuweilen geschehen ist 3 , und statt dessenmittelalterliche und christliche Überlieferungen als ausschlaggebend