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Francesco Barbaro : Früh-Humanismus und Staatskunst in Venedig / Percy Gothein
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Seite
152
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KAPITEL VI

RELIGIÖSE VERTIEFUNGLAUFBAHN ALS STAATSMANN

IN SEINER JUGEND ATMETE FRANCESCO BARBARO , WIEman sah, mit vollen Zügen die Luft des neuerschlossenen Altertums,während des Christentums wenig Erwähnung getan wird, wenn er auchimmer den religiösen Pflichten nachgekommen sein mag. In seinemEhebuch streifte Barbaro nur ganz kurz die christliche Eheauffassung;der Verkehr mit einem Kleriker während dieser Zeit, mit AmbrogioTraversari , ruhte auf gelehrter Grundlage, nicht auf religiöser. Aberschon in der Neigung zu den vorwiegend ethischen Schriftstellern desAltertums, zu Plutarch und Quintilian, während Vergerio und LeonardoBruni in ihrer Jugend sich zur Nachfolge des Terenz hingezogen fühl-ten und etwas schlüpfrige Studentenkomödien wie den Paulus und diePoliscena schrieben, zeigte sich Barbaro von früh auf von Staatsernstund -Verantwortung durchdrungen. Denselben Gedanken äußerte beider Betrachtung von Barbaros Entwicklung schon sein Zeitgenosse Mat-teo Bissario, der in einer Preisrede zu Vicenza von ihm sagte: «VomSpiel und der Kinderstube eilte er zu den großen Studien der freienKünste und endlich zu der (Lebens)philosophie, der Mutter aller ver-hüllten Dinge, wo er mit wunderbarer Begabung alle Verführungen jenesAlters hinter sich ließ und die ganze Zeit, die andre an Spiel und Lust, anFeiertage und Gelage wenden, damit hinbrachte, diese Studien wiederund wieder zu treiben 1 .» So liegt es nahe, daß er auch die religiösenAufgaben der Zeit vom Staatsgedanken aus ergriff, daß er mitten imtätigen Leben und Sorgen für die ihm Untergebenen selber von dermächtigen religiösen Welle, die durch sein Land flutete, gepackt underschüttert wurde. Wohl ist die katholische Kirche ein festes Gefüge,das die Jahrtausende währt, aber sie bedarf nicht nur der Wahrer undVerwalter ihres geistigen und weldichen Gutes, sondern immer aufs neueder Erwecker und Erschütterer der Gemüter. Solch ein Erweckungssturm