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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
Seite
16
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16 Zweites Kapitel.

Namen und Wohnung angab, und am Abend brachte sie derBibliotheksdiener ins Hans. Ich weiß nicht, ob das auch henteso der Brauch ist, aber ich fühle mich hente noch dankbar dafür,daß es damals so gehalten wurde. Unter der Lektüre jenerAbende markierte für mich ganz besonders Friedrich List, und ichmachte in Verehrung dieses anregenden Schriftstellers damalsmeine schutzzöllnerische Periode durch; aber freilich war List eiuandrer Mann als unsere Agrarier von heute und sein Horizontein anderer als der ihre.

Zu Weihnachten gingen meine beiden Freunde in die Ferienzu ihren Familien. Ich blieb allein zurück und that mir gütlich,indem ich während dreier Wochen beinahe völliger Einsamkeitdas juristische Studium durch freie Lektüre unterbrach.

Mit dem Ende des Semesters kam die Zeit des Examensheran, uud dieses mußte iu Gießen, als der Landesuniversität, ge-macht werden, wollte man zum Eintritt in den Staatsdienst odereine Advokatur befähigt sein. Diese damals Fakultäts-Examengenannte Prüfung entsprach dem heutigen Referendar-Examen.Wer seinen Doktor machen wollte, hatte nur die Kosten für dasDiplom zuzuzahlen. Man arbeitete bei jedem Fachprofefsor einigeTage unter Klausur in dessen Wohnung, und daran reihte sich einemündliche Prüfnng vor sämtlichen Examinatoren, nach deren Schlußder Kandidat sich in ein Nebenzimmer zurückzog, während über seinSchicksal beraten wnrde. Jedes Examen wurde individuell be-handelt; es gab keine allgemeinen Termine.

Nach kurzer Pause ins Beratnngszimmer zurückgerufen, wardmir unter den üblichen Formalitäten verkündet, daß ich glücklichbestanden, und ich ging still nach Hause. Da ich das Dnrch-schuittsmaß an Kenntnissen, welches zn dieser Kraftprobe erforderlichwar, an einer Reihe mir vorangegangener Komilitonen in seinerBescheidenheit kennen gelernt hatte, war mir weder vorher eineBeklemmung noch nachher das Gefühl der Erlösung beigekommen.Ich auf meiner Stube allein mein frugales Abendbrot wiejeden Tag. Als am folgenden Morgen einer meiner Freunde zumBesuch kam, hält ihn die Hansfrau auf dem Vorplatz fest, um ihmmit betrübter Miene zuzuflüstern, ich sei ohne Zweifel durchgefallen,da ich mich so still eingeschlichen und nichts mehr gesagt habe.