Universitätszeit und juristischer Beruf.
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wenn er den böhmischen Garnisonsprediger spielte. Er setzte dannseine Dienstmütze mit dem Schirm nach hinten auf und redeteein selbstverfertigtes, doch dem Laut nach sehr gut nachgeahmtesBöhmisch. Aber auch nach den höheren Kulturseiten hatte er seinAugenmerk gerichtet, und namentlich die Sprache eines früheren,noch in der französischen Zeit amtiert habenden Präsideuten führteer mit Wohlgefallen im Munde, ermähnte uus, das Beispiel„Daguesseaus, jenes tugendhaften Mannes" oder sonst einer Be-rühmtheit der alten Magistratur zu befolgen. Ich stand in seinerGunst, weil ich an seinen Späßen Gefallen fand und den Umwegdurch die Wirtshäuser beim Austragen der Akten durch mancheSpende begünstigte. Er titulierte mich einfach: „Doktorche!"
Mit seinem Duzbruder, meinem Chef, stand ich nicht mindergut. Er war eine schöne, imposante Gestalt in den besten Mannes-jahren, mit einem prächtigen dunklen Lockenhaar uud ebensolchenAugen, Junggeselle, aber mit einer Maitresse behaftet, die er vorJahren aus Paris und aus sehr fraglichen Regionen daselbst mitnach Mainz gebracht hatte und nun hinter Schloß und Riegelin seinem Hause wie iu einem Harem verborgen hielt. Von demalten Junggesellen hatte er die Pedanterie der Gesundheitspflegetrotz seiner intimen Beweibung angenommen. Eine sanitätlicheVorschrift, die er mir nicht oft genug wiederhole» konnte, gingdahin, niemals den Hut aufzufetzen, ohne das Jnnenfntter des-selben vorher erwärmt zn haben. Daraus kann mau auf das übrigeschließen. Sein Kultus galt der Glorie der ehemaligen französischenFormalitäten bei dem Gerichte. Zwar hatte er das nicht selbst er-lebt, aber die Ueberlieferung war noch lebendig auf ihn übergegangen,und es überkam ihn eine hohe Wehmut, wenn er schilderte, mitwelchen Feierlichkeiten die Assisen abgehalten wurden, wie u. a.der Präsideut eine Schildwache vor seiner Thüre hatte und dieMagistratur — so nannte man die Richter und Staatsanwälte —eine hohe Stellung einnahmen, ganz anders als zu uusrer Zeit.Daneben wurde weidlich politisiert und sein Drang nach Er-forschung meiner Ansichten kannte keine Grenzen. „Was haltenSie von der orientalischen Frage?" war noch eine der bescheidenstenInterpellationen seines Repertoires. Zu den Pflichten seiner Amts-assistenten gehörte auch, mit ihm aus den Hauptstraßen uud Plätzen
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