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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
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20 Zweites Kapitel.

auf und ab zu wandeln. Wenn ich noch hinzufüge, daß derzweite Gerichtsschreiber vor allen Dingen musikalisch uud eiu guterSänger war, so kann man sich vorstellen, welch ein fideles Ge-fängnis diese Kanzlei war. Zur Vervollständigung gehörte einOberstaatsanwalt-Substitut, der ein sehr schöner baumlangerBlondin nnd gewaltiger Galan war, und mit dem über den Gangweg eiu lebhafter dienstlicher Verkehr, mit entsprechenden Allotriisverziert, unterhalten wnrde.

Unsre berufsmäßigen Aufgaben bestanden in dem Kauzlei-dienst für die Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie iu Zucht-polizeisachen (Aburteilung der Vergehen) und für den Hanptdieustdes Kriminalverfahrens vor den Geschworenen. Die Prozeß-ordnung war noch die des Loäs ä'lnstrlietiou onmiaslls; dasmaterielle Recht wurde nach einem hessischen Strasrecht gesprochen,das nach dem damals beliebten Mnster akademischer Krimiual-wiffenschaft nicht übel zugeschnitten war und vor allem dasVerdienst hatte, die barbarischen Härten des Loäs psual beseitigtzu haben. Einige, in ihrem engeren Kreise, oausss csIsbrWwurden mir zur Ausarbeitung der Anklageakten anvertraut undreizten den Spürsinn. Die Appellsachen der Zuchtpolizei be-schäftigten sich zumeist mit Landstreichern beiderlei Geschlechts.Die Abwesenheit aller Überlastung erhielt die Richter in eineraufmerksamen und humanen Stimmung. Der größte Feind einergerechten Justiz ist die Überhäufung. In Paris habe ich oftden Sitzungen der Zuchtpolizeigerichte als Beobachter bei-gewohnt, und mit Grauen denke ich an die grausame Hast, mitwelcher da, natürlich in absolutem Gleichgültigkeitsgefühl, ab-geurteilt ward. In dem Verfahren vor den Geschworenen hattesich dagegen auch bei uns noch vielfach die abscheuliche Manierder französischen Assisenpräsidenten fortgepflanzt, welche den An-geklagten wie einen überführten Verbrecher behandeln, die Zengenterrorisieren nnd mit dem Staatsanwalt um die Wette auf eineVerurteilung hinarbeiten.

Nachdem die sechs Monate anf diese vergnügliche Weise ab-gedient waren, trat ich bei einem Rechtsanwalt, oder wie esdamals hieß, Advokat-Anwalt, zu weiterer Ausbildung ein. Diefreie Advokatur der französischen Organisation bestand nicht mehr,