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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
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Viertes Kapitel.

weg von Berlin schrieb ich dann:Abermals auf dem Dampf-boot, Freitag morgen. Ich weiß nicht, ob ich zn Hanse an-gekommen, einen Brief von Dir finden werde und will deshalbauf alle Fälle mich in den Stand setzen, Dir meine Rückkehrsofort anzuzeigen, damit ich wieder ein paar Worte von Dirhöre. Über den Kongreß wirst Du in den Zeitungen gelesenhaben. Die Geguer machen sich ein großes Fressen daraus,aber ich sage Dir: sie sind Esel und Stümper, sonst würden sienoch hundertmal besser es ausbeuten können. Er war derSuperlativ aller Erbärmlichkeiten, und ich war ruckweise so vonEkel gegen die dummen Jungen erfüllt, welche das große Wortführten, daß ich an mir und der Sache zu zweifeln anfing. DerKongreß war elend, aber ich habe viel gelernt in Berlin , nndwas ich als Trost mitgenommen habe, ist die Erfahrung, daßdie fähigeren Menschen der Partei in allen Teilen Deutschlands genau übereinstimmen, und daß man, um der Partei anzugehören,nicht mit den dummen Zungen solidarisch zu sein braucht.Berlin ist eine schöne, große Stadt, die aber keinen Eindruck aufeinen macht. Sie ist nur quantitativ von kleineren Städtenverschieden. DieIntelligenz", die philosophische Theebildung,ist, wenigstens heute, nicht mehr wahr. Volk und einzelnetragen durchaus das allgemeine Gepräge."

Und uuu halte ich es nicht für Geschmacklosigkeit undJnteressantmacherei, wenn ich ansnahmsweise den nächstfolgendenBrief in seiner Totalität hier wiedergebe, obgleich er vonBegebenheiten nichts erzählt und nur die innerlichste Subjektivitätabspiegelt. Aber ich darf wohl annehmen, daß dem, welchermein Leben in seinen Ersahrungen und Beobachtungen bis hierherverfolgt hat uud weiter verfolgen will, es nicht unwillkommen seinwird, diesen kurzen Einblick in eine Selbstschilderung zu thun,die, indem ich nach einem halben Jahrhundert sie zum erstenmalwieder zu Gesicht bekomme, mich selbst nur als einen Vergessenenund darum halbwegs Unbekannten wieder vorführt. Manches machtmich lächeln, und doch erkenne ich im ganzen den alten Adam wieder,in dem der Privatmensch mit dem öffentlichen sich schlägt und sichverträgt, wie gleicherweise die unmittelbare Empfindung mit dernimmer rastenden pedantisch doktrinären Selbstanalysierung.