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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
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192
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192 Viertes Kapitel.

höchsten menschlichen Beziehung, in der Beziehung, welche Dichmir verbindet. Auch in der Liebe ist Pathos, aber das reine,durch die eigne, individuelle Natur bestimmte, von allen Zufällig-keiten der äußeren Welt befreite Pathos, das wahre Pathos, dasans den gesteigerten und in ihren Gründen aufgeregten Anlagendes Charakters selbst hervorgeht; in ihr liegt darum die reiuste,über alles gehende Wahrheit des Lebens, und sie wird dahervom nächsten Gegensatz, durch das mehr oder minder falschePathos des öffentlichen Lebens hervorgernsen. Allerdings enthältdie politische Thätigkeit als echten Kern die volle Wahrheit derMenschenliebe, aber es ist die Eigentümlichkeit aller allgemeinenVerhältnisse, daß sie die Wahrheit nur stark vermischt mithundert Verleugnungen und Vernachlässigungen des Prinzipsenthalten; wie ja das Leben überhaupt nicht in Allgemeinheitensondern in Individualitäten der That nach besteht, während allesAllgemeine uur eine Abstraktion des Gedankens ist. In denBeziehungen zum Allgemeinen ist für deu Meufcheu keine volleBefriedigung, sie ist nur in den Beziehungen zum anderenMenschen. Darum ist nichts falscher, als was oft und auch vonDir dann und wann hingeworfen worden, daß nämlich diesehöchste Beziehung zwischen Mensch und Mensch, diese Beziehungzwischen Dir und mir in dem großen Welttreiben für etwasUntergeordnetes, Entbehrliches erklärt werde. Wie überhauptalles Schöne nnd Große, ist diese höchste menschliche Be-ziehung, die Liebe, nie höher gestimmt, als wenn die anderenThätigkeiten gesteigert und entfaltet sind, und die Wahrheit undNotwendigkeit dieser Verbindung nnd dieses Gegensatzes, glaubeich, ist es, welche den Tragiker immer zwingt, in seinenSchöpfungen große Thaten vor der Welt und stille Beziehungendes Herzens in eins zu verflechten. Das alles mag Dir ab-strakt und gedrechselt klingen; aber mir ist es nur die un-vollkommene Beschreibung des täglich Erlebten uud Empfundenen,das man allerdings auch besser erleben und empfinden als aus-einandersetzen kann. Wenn Du doch endlich einmal es selbstmiterleben, oder richtiger, wenn Du mich dahin bringen könntest,daß ich nicht bloß in der Sehnsucht und dem Bedürfnis, sondernin der Thatsache es erlebte! Dieses Verlangen verfolgt mich seit