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machten. Hartmann und mir war nämlich ein russischer Offizier,den wir von Paris aus als einen Verwandten des uns be-freundeten Hauses Trnbetzkoi kannten, auf der Straße begegnet,und er war daselbst, so zu sagen, unter unseren Augen plötzlichverrückt geworden. Wir ließen ihn ins Spital bringen, wo als-bald festgestellt ward, daß er unheilbarem Größenwahnsinnverfallen war.
Es geschah zum erstenmal, daß ich einen solchen Unglück-lichen in der Nähe und beim Ausbruch seiner Krankheit zubeobachten Gelegenheit fand. Mit erstaunlicher Leichtigkeit ginger auf jeden Gedanken ein, den wir ihm hinwarfen, um ihn fürdie Überführung gefügig zu machen. Als wir zu ihm ins Spitalkamen, um ihn zum Einsteigen in den Wagen zu bestimmen,sagten wir, es handle sich darum, ein großes Schloß zu be-sichtigen, das er kaufen wolle. Sofort war er damit ein-verstanden. Auf der mehrstündigen Fahrt nach der Anstalt warer heiter aufgeregt, erzählte uns viel von seinem Leben undnamentlich von den Ausschweifungen in der kaiserlichen Kadetten-anstalt für vornehme junge Leute in Petersburg ; er war fehrmusikalisch und hatte eine sehr schöne Stimme. Von Zeit zuZeit sang er ein Lied; in dem Augenblick, wo wir durch dasgeöffnete Thor in den Hof des Irrenhauses einfuhren, schlug ermit frohlockendem Ton die Arie aus dem „Barbier" an: lZoooriclsuts il solö. Es war ein grausiger Moment, der mirunvergeßlich geblieben ist. Ohne Widerstreben ließ er sich denÄrzten übergeben. Er lebte nur noch ein paar Monate.
Zum erstenmal besichtigte ich damals auch eine Irrenanstalt— ein entsetzlicher Eindruck, obwohl die wenigsten der Krankenein unglückliches Bewußtsein verrieten. Die weibliche Abteilungwirkte noch fürchterlicher als die männliche. Ich fand da unteranderen eine noch junge Frau aus einer mir von Jugend aufbefreundeten Familie, die ich als blühendes Mädchen gekannthatte. Sie war uach einigen Jahren ehelichen Lebens nympho-manischem Wahnsinn verfallen. Jetzt tändelte sie, unkenntlichgeworden, unter einer Schaar ihrer Unglücksgefährtinnen,harmlos an ihrer Anstaltsbekleidung putzend, dahin.
BambergerS Erinnerungen. 19