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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
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Paris .

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Sache zu sprechen, und im Lauf der Unterhaltung fragte er mich,wann ich den mit dem Referat betrauten Richter zu besuchen gedenke,und zwar warf er diese Frage als etwas ganz Selbstverständlicheshin. Ich riß die Augen auf und fragte ihn, was er meine. Erantwortete im Ton vollendeter Harmlosigkeit:Man muß dochseinen Richter aufsuchen". Ich konnte das noch immer nicht ver-stehen, und so mußte er wahrnehmen, daß ich vollständiger Neu-ling war in einem Gebrauch, der in Frankreich durchaus rezipiertsei. 0n VA voil- 8öS so lautete die Formel. Ich sagte ihm,wer in Deutschland so etwas wage, würde mindestens zur Thürhinausgeworfen, und nie in meinem Leben könnte ich mich dazuentschließen. Nun war die Reihe au ihm, mir zu erklären, wiedas nach französischem Begriff nicht bloß etwas Zulässiges sei,sondern die Unterlassung für einen Mangel an Höflichkeit an-gesehen werde. Wenigstens müsse man seine Visitenkarte bei demRichter abgeben. Aber auch das widerstrebte meinem Gefühle sosehr, daß ich mich nicht dazu entschließen mochte. So kam derTag, an dem das Urteil verkündet werden sollte, heran.

Ich wohnte damals, im Sommer 1858, in der Nähe vonParis in Nille d'Avray nnd fuhr täglich zur Stadt. Als ich imZuge saß, fiel mir ein, daß heute der Tag der Entscheidung sei,und in der Spannung darüber kam mir das Gefühl der Ver-antwortung, die ich, als Leiter des Prozesses für mein Haus,damit auf mich genommen, daß ich einen als förderlich angesehenenund von der Praxis für zulässig erklärten Schritt unterlassen hatte.Mein Weg vom Bahuhof der Rue St. Lazare führte mich dichtan der Rue Jonbert vorbei, wo der mit dem Referat betranteHandelsrichter wohnte.

Im letzten Augenblick sagte ich mir: Am Ende sollte ich dochmein Widerstreben überwinden und wenigstens noch eine Kartebei ihm abgeben, wenn auch oder gerade weil für ihn dasUrteil jetzt schon feststeht. Gesagt, gethan. Es war neun Uhrvormittags. Ich klingle und gebe dem öffnenden Diener meineKarte. Sofort wurde ich in das Kabinett des Richters geführt;der sitzt vor seinen Akten und ruft mir in freundlichstem Tonezu: Sie kommen mir sehr gelegen. Gerade war ich daran, IhreSache zu studieren. Nuu können Sie selbst mir alles erklären.