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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
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Siebentes Kapitel.

Ich ließ mich nicht darum bitten. Nach einer Unterhaltung vonetwa zwanzig Minuten empfahl ich mich sehr erleichtert durch denglatten Verlaus. Um Mittag ward das Urteil gesprochen zuGunsten meines Hauses. Es war gerecht; ich habe nie eiueuProzeß geführt, an dessen Güte ich den leisesten Zweifel hegte.Aber ob mein Besuch mit iu der Themis Wagschale gewogen hatte,blieb mir eine ungelöste Frage. Diese Erfahrung machte ich mirnatürlich zu nutze, und in späteren Fällen richtete ich mich danachleichteren Herzens. Ich muß aber einschalten, daß ich trotz desBesuches einmal in einer großen Sache, es handelte sich um drei-malhunderttansend Franken, in der ersten Instanz auch vor demHandelsgericht, unterlag. Im Appell wnrde ich jedoch wiederSieger. Endgültig habe ich vor den Pariser Gerichten nie einenProzeß verloren.

So verwerflich von unserm deutschen Standpunkt der Brauch,persönlich den Richter in seiner Wohnung aufzusuchen, erscheint,so läßt sich auch manches zu seiner Verteidigung sagen. Wennbeide Parteien diesen Schritt thun, so gleicht sich die Gefahr derBeeinflussung aus. Uud angenommen, der Richter faßt die Sacheals ein gerechter Mann aus, so wird in den Fällen, wo es sich umbestrittene Fakta handelt, seine Einsicht in das Wesen des Prozessesund der Parteien dnrch die lebendige Unterhaltung oft gefördertwerden können. Aber freilich, zugleich eröffnet dieser Brauch demMißbrauch Thür und Thor, gerade in einem Land, wo die persön-liche Beziehung einen so breiten Platz einnimmt.

Der Richter hat eine Frau, und nicht selten besondersin der höheren Instanz eine Maitresse. Geriebene, welt-kundige, wenig skrupulöse Leute, die einen Prozeß betreiben,fragen sich dann in erster Linie: wer ist seine Frau, oder nochlieber, wer ist seine Maitresse, und dann, wie kommt man an sie?Anekdoten giebt es darüber, freilich nur sehr unbeglaubigte.

Ich hatte einmal eine Sache vor dem Kassationshof schweben,und eiuer meiner Mitinteressenten lag mir besonders in denOhren, daß ich mich nach guten Empfehlungen umsähe, in An-betracht dessen, daß die Gegenpartei zu dem Präsidenten desGerichts, einem gläubigen Katholiken, durch priesterliche Ver-bindung sehr gute» Zugang habe.