4ö6 Siebentes Kapitel.
er ihn mit Vorliebe zeigte. In Simon steckte mehr der Schlaueals der Schalk, und er ließ ihn nur wider Willen durchblicken.Was Tiefe des Geistes betrifft, so sind sie natürlich nicht zu ver-gleichen. Renau ist einer der bedentendsten Gelehrten und einerder größten Schriftsteller geworden; seine Versuche iu die politischeLausbahn zu gelangen, sind mißlungen. Simon, der auf denverschiedensten Gebieten sehr viel publiziert hat, ist nicht überleichteu Tageserfolg hinausgekommen, aber auf dem Boden desöffentlichen Lebens hat sich seine Kunst der Meuschenbehandluugglänzend bewährt. Eine gewisse Ähnlichkeit verband übrigens diebeiden auch in ihrem gesellschaftlichen Verhalten. Beide warenausgezeichnete Canfenrs, und auch abgesehen von ihrer Berühmt-heit wegeu ihrer reizenden Unterhaltungsgabe im Salon und beiTisch uugemeiu beliebt. Renan gab aus natürliche Weise ansseinem Wissens- und Gedankeuschatz; Simou betrieb das Erzählenmit reflektierter Kuust. Reuaus Verhalten in der Konversationhatte etwas entschieden Gutmütiges, das in seinen höheren Jahrenein wenig nach der großmütigen Gleichgültigkeit des mit Erfolgund Anerkennung Gesättigten schmeckte. Er fing beinah jedeReplik mit einer Wendung an, die dem Vorredner beipflichtete.Simon dagegen liebte es, die Mitredenden zu ironisieren; anUnerfahrenen versuchte er es nicht selten mit einer kleiueu Mysti-fikation. Die Nähe Reuaus war menschlich wohlthuend, die Simoushatte einen unbehaglichen Beigeschmack. Man fühlte immer deuPofeur durch, dem es an Wohlwollen fehlte, besonders sür solche,denen er anmerkte, daß sie nicht naiv an ihn glaubten. Nachaußen war er immer aus etwas Feierlichkeit bedacht, auch ganzim Gegensah zu Renan, dessen Vorträge vom Katheder herab vonfamiliären Wendungen in ergötzlicher Weise durchsetzt wareu,während Simon auch iu der zwanglosen Unterhaltnng sich inwohlstudierten Formen bewegte, wie er anch in seiner Kleidungeine gewisse Austerität zur Schau trug. Seine Wohnnng imfünften Stock eines Eckhauses auf dem Boulevard de la Madeleiue,die er selbst in seiner Glanzzeit beibehielt, gab ebenfalls Stoffzum Hiuweis auf die philosophische Bescheidenheit des Bewohners;die bis in die Thürpfosten des Vorzimmers aufgestapelten Büchersprachen zu dem Eintretenden von seiner Gelehrsamkeit.