Beziehungen zn Deutschland und erste Reisen ins Vaterland. 521
Übrigens hätte die eigene Reminiscenz doch nicht ausgereicht,um hier ein Nachtlager auszuschlagen, aber meine Frau hattezugleich den Zweck, eine Jugendfreundin, die in ihren Erinnerungeneine große Rolle spielte, zu besuchen. Sie war die Tochter einesAlzeyer Pfarrers, und in Gießen an einen Gymnasiallehrer Dr.Beck verheiratet. Wir verbrachten den Abend bei dem Ehepaar,und die beiden Frauen thaten sich gütlich in Neubelebung alter,auch eigener Liebesgeschichten, aus der alten Zeit. Am andernMorgen sollte es weiter gehen.
Ich erwachte etwas früh, und das brachte mich auf denEinfall, noch eiuen Gang zu machen, um einige Schauplätze vor-maligen Daseins in Augenschein zu nehmen. Ich ging also durchdie Brandgasse an meinem alten Quartier bei Schuhmacher Noltevorüber nach der Aula. Diese, es war erst 7 Uhr, war ganzausgestorben. Aus einmal sehe ich am Ende des Hauptgangeseine kleine Gestalt auftauchen, und, kaum traute ich meinen Augen;ich erkannte sofort den einzigen Menschen, der als ein ehemalsgut Gekannter hier noch unter den Lebenden weilte: den BotanikerProfessor Hoffmann — genannt das Onkelchen, den ich aus Anlaßmeiner Erwähnung der Somnambule von Beienheim schon er-wähnt habe. Ich ging auf meinen Mann zu. „Herr Professor,kennen Sie mich noch?" Und ohne sich eine Sekunde zu besinnen,als hätten wir uns gestern noch gesprochen, antwortete er: „Natürlich,Bamberger!" Dergleichen ist mir noch oft, auch in späteren Jahrenvorgekommen. Man behauptete immer, ich hätte mich gar nichtverändert. Ich vermute, es hängt das mit den schmalen Dimen-sionen der Gesichtsfläche zusammen, die sür Veränderungen wenigSpielraum bieten, wenn sie nicht sich ausbreiten, wozu sie sicheben nie verstehen wollten.
Noch etwas Eigentümliches habe ich auf diesem Gebiete anmir erlebt, was mir aber auch von andern, als an sich erfahren,des öftern bestätigt worden ist. Nämlich, wenn ich jemandennach kürzerer oder längerer Zeit wiedersehe, heißt es immer: „Nunsehen Sie aber bedeutend besser aus, als da ich Sie das letzte Malerblickte." Das passiert mir bis ans den heutigen Tag von Jahr zuJahr. Früher machte ich meine Bemerkungen dazu, besonders