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Achtes Kapitel.
dahin, daß, wenn ich jedesmal soviel besser aussähe als vor-her, so müßte ich es bereits zu einer wundervollen Blüte derGesundheit gebracht haben; da ich aber bei nächster Begegnunggewiß wieder zu höreu bekäme: das vorige Mal haben Sie wirklichsehr schlecht oder beunruhigend ausgesehen, so weiß ich nunschon im voraus, daß das jetzt gepriesene gute Aussehen, dasnächste Mal in seiner retrospektiven Erbärmlichkeit zum Vorscheinkommen wird. Wie erklärt sich dieser Widerspruch, den, wie be-merkt, ich uicht allein an mir beobachtet habe? Ich kann mirsnur so motivieren, daß Menschen, die sehr schwächlich aussehen,damit einen tief bedenklichen Eindruck auf den Beschauer machen,daß dieser Eindruck festgehalten wird und in der Entfernung sichverschärft eingräbt, so daß bei nachfolgender Begegnung der Be-schauende sich wundert, das Aussehen nicht so schlecht zu fiudeu,wie er es iu der Erinnerung hatte.
In Gotha erwartete uns Walesrode am Bahnhof und dasgegenseitige Erkennen bot keine Schwierigkeit.
Walesrode war ein gut aussehender, stattlicher Herr, mitgrauem Schnurrbart, den man für einen Offizier in Civil haltenkonnte. Wir verlebten ein paar gute Tage zusammen; an Ge-sprächsstoff fehlte es nicht und an beiderseitigem Humor auchnicht.
Ich war nie in Thüringen gewesen und machte die Bekannt-schaft der klassischen Landschaftspunkte, der Wartbnrg, Friedrich-roda u. f. w. Die Dürftigkeit der ganzen Lebensweise fiel miraus, auch im Gegensatz zum badischen Lande, aus dem ich kam.Den stärksten Eindruck machte mir auf diesem Gebiete die Bekannt-schaft mit einem Getränk, das man kalte Schale nannte, nnd dasaus Bier, Obst und Brot gemischt für eine Delikatesse galt,während ich es jämmerlich fand.
Von den litterarischen Schützlingen des Herzogs lernte ichnur den Knrhessen Friedrich Oetker kennen, mit dem ich beiElisabeth Lewald zusammentraf. Sie war die Schwester vonTheodor Althaus und die Gattin von Rechtsanwalt Otto Lewald,dem Bruder Fannys. Sie befand sich zum Landaufenthalt inFriedrichroda mit ihren kleinen Kindern, nnd meine Fran, welchedem Bruder Althaus ein zärtliches Andenken bewahrt hatte, war