Beziehungen zu Deutschland uud erste Reisen ins Baterland. 535
hätten wir das Recht, zu sagen: wir sind Ein Volk und Ein Land, unddie Beseitigung der Schranken, welche der Fluch unserer Geschichte überuns verhängt hat, ist Sache der Zeit. Und wenn dem deutschen Bürgerund Bauer solche Bücher zu Händen kommen, wie diese MartyrologieRöckels, wie Kapps Geschichte des deutschen Soldatenhandels, oder wiedie im Jahre 1860 anonym erschienene Geschichte Kurhessens unter demVater, dem Sohne und dem Enkel, so muß ihm doch endlich zu Herzendringen, daß es Dinge giebt, welche ein ordentlicher Mensch nicht bloß„mit Geduld und Sauerkraut" überwindet.
Zum Schlüsse sei hier noch erwähnt, daß August Röckel bei Nieder-schreibung uud Veröffentlichung seiner Erlebnisse nicht die Absicht hatte,mittels der Eindrücke zn wirken, welche ich hier in den Vordergrundgestellt habe. Der erste Teil seines Buches ist der Erzähluug der Ver-sassuugs- und Gesetzes-Konflikte von 1849 gewidmet. Der Mann, welchernoch hinter den Manern seiner Zelle die dürftigen, der Zwangsanstaltabgerungenen Augenblicke seines Eigenlebens dazu benutzte, nicht nm fürsich selbst eine Erleichterung durchzusetzen, sondern um sich für irgendeine» mißhandelten Mitgefangenen zn verwenden oder der Verwaltungallgemeine Übelstände zur Abhilfe zn kennzeichnen — dieser Mann fandseine persönlichen Schicksale wenig berechtigt, den Leser zn tiefer Ent-rüstung zn bewegen. Um so mehr versprach er sich von einer schlagendenHinweisung auf die krasse Manier, mit der man in Sachsen wie ander-wärts, je nach Ebbe und Flut der Ereignisse, mit Reichs- und Landes-verfassung, Gesetz und Recht, Menschen und Dingen umgesprungen war.Zch erlaube mir, in diesem Punkte von seiner Meinung abzuweichen.Hier hat die Furcht vor persönlicher Befangenheit ihn offenbar zu weitnach der Gegenseite geführt. An Fug und Unfug mit geschriebenen undbeschworenen Verfassungen haben sich die Menschen, welche der Politikfolgen, neuerer Zeit bis zum Stumpfwerden gewohnt, und der unge-bildete Mensch ist noch weniger im stände, etwas zu fühlen, wennParagraphen gemeuchelt werden. Aber wenn man einen braven, edlen,gütigen Menschen auf solche Weise quält, so fühlt wohl hoffentlich hochund nieder Geborenes noch etwas in seiner Brust dagegen sich empören.Von fünfundzwanzig Schicksalsgenossen, die mit Röckel in das wald-heimer Znchthaus kamen, erlagen vierundzwanzig in den ersten Jahrendieser Folter. Ihre Gebeine, die ans dem Kirchhofe des Gefängnissesmodern, sind ein erbaulicher Kommentar zu dem Text, daß die Tortnrabgeschafft uud daß hier nicht mit dem Tode bestraft worden sei. Röckelallein mit seiner guten Natnr hielt es ans . . . nnd nach dreizehnjährigenLeiden denkt er noch grimmiger dessen, was am Vaterlande, als wasan ihm selber gefrevelt ist.