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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Stein.

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Diese Männer gaben sich keiner Täuschung darüber hin, wiegroß die Übermacht Napoleons sei und wie klein die Hoffnung aufdeu Sieg, aber sie waren überzeugt, daß für Preußen keine Wahlgegeben sei, als den verzweifelten Kampf zn wagen oder in Schandeunterdrückt zu werden. Neben dieser kaltblütigen Entschlossenheithatten sie aber auch eine gewisse Zuversicht, daß so große Be-geisterung nicht vergeblich ringen werde. Es war etwas Propheti-sches in ihnen, nnd sie erfüllten weite Kreise mit ihrem Glaubenan Freiheit und Vaterland, der sich mit dem so einfachen wieherzlichen Gottesglauben der Zeit verknüpfte und selbst eine ArtReligion war. Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Grolman, Boycn,Arndt, Niebuhr, Görres, Schleiermacher und ihre Freunde soverschieden ihre Gabeu uud Charaktere waren fanden alle indieser religionerfüllten und Religion gewordenen Begeisterung ver-doppelte Kraft.

Leider empfand der König von solchem Aufschwung des Her-zens wenig, wußte ihn auch nichl zu würdigen und machte dengroßen Führer der Schar, den Freiherrn vom Stein, nur not-gedrungen zu seinem Minister (Herbst 1807). Stein mußte imNovember 1808 wieder entlassen werden, weil Napoleons Drohungenes forderten; und auch die wichtigen Gesetze, die iu dieser Zeit er-gingen, wie die Edikte über die Bauernbefreiung und die Städte-ordnung, waren teils schon von anderen Beamten vorbereitet, teilswurden sie von anderen ausgearbeitet. Sogar die merkwürdigeKundgebung, die man als das allgemeine Programm der Reformerzu bezeichnen pflegt, das sogenannte politische Testament Steins vom15. Dez. 1808, ist nicht von Stein oder auf Steins Veranlassungaufgesetzt, wahrscheinlich sogar von Stein nur widerstrebend unter-schrieben worden. Aber doch trägt die Reform mit Recht SteinsNamen. Einmal hat er trotz jener Verdienste seiner Mitarbeiter dochanch persönlich einen großen Anteil an der gesetzgeberischen Arbeit,so namentlich an der Städteordnung. Wohl ist der Entwurf nichtvon Stein selbst ausgearbeitet worden, sondern von dem GeheimratFrey, der damals Polizeidirektor in Königsberg war und mit Steinin demselben Hause wohnte. Aber Stein hatte ihm den Auftragdazu erteilt, hatte dann gleichviel wie groß oder wie klein der