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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Die Bildung der Parteien.

unbefangener Leser entdeckt bald, daß in diesem Räsonnement wichtigeThatsachen verdunkelt werden, aber wer zu den berechtigten Kreisengehörte, der legte das Buch mit dem Gefühl aus der Hand, daßeigentlich nnr ein ganz dummer oder eiu ganz schlechter Menschdie Klage über die ungerechte Bevorzugung des Adels wiederholenkönne.

Der einflußreichste Gehilfe und Führer kam jedoch den Gegnernder Liberalen von ganz anderer Seite, man könnte sagen aus demJdeenkreise des Liberalismus selbst; denn auf dem Boden der libe-ralen Forderung, daß der Staat ein Rechtsstaat sein solle, ent-wickelte der gewaltige Dialektiker Julius Stahl das Gebäude derTheorie, worin die Junker und ihre Frennde zwei Decennienhindurch ihre Privilegien gegen die Angriffe der Liberalen bargen.Wohl trat der Gegensatz zwischen ihm und den Anschanuugen derFeudalen oftmals hervor, aber Stahl war ein Gegner des damaligenLiberalismus, des kirchlichen wie des politischen, brauchte für seiuSystem eine Aristokratie und konnte sie nnr in dem preußischenAdel finden. Über den Widersprach der Ansichten half bald seineDialektik, bald der Wille hinweg. Bei mancher wichtigen Verhand-lung ist der Gegensatz offen ausgesprochen worden, aber man hieltdoch zusammen, und es fehlte nicht an vermittelnden Personen undMeinungen. Überdies aber werden Parteien immer viel mehr durchInteressen und Gewohnheit als durch Gleichheit der Überzeugungenzusammengehalten.

In Stahl erstand den Gegnern des Liberalismus ein großerparlamentarischer Führer, der zugleich ein glänzender Journalistund eilt Meister der Wissenschaft war, und desseu persönliche Un-eigennützigkeit und vornehme Art auch die Gegner anerkennen mußten.Friedrich Julius Stahl war 1802 iu München als Sohn einesstrenggläubigen Juden geboren, 1819 trat er zur lutherischeu Kircheüber, und die Art, wie er mehr die judaischen als die hellenistischen Bestandteile des Christentums aufnahm, gab seinem Wesen dieSignatur. In der Wissenschaft begründete er seinen Rnhm alsProfessor iu Erlangen und Würzburg , namentlich dnrch diePhi-losophie des NechtS", deren erster Band 1829 erschien: als Politikerwurde er 1837 viel genannt, weil er von dein bayerischen Ministe-